QUIET WORDS

Alltags-Betrachtungen von Pascal Morché

Oh, süßes Österreich: Mozarts Kugeln!


Das Osterfest naht! Ihr Kolumnist will nicht erneut auf die Kreuzigungsszene Jesu hinweisen, die Sie bequem mit Playmobil und Lego nachbauen können. (Spielzeug soll ja pädagogisch wertvoll sein und so lernen die lieben Kinderlein am besten, dass es an Ostern nicht nur um Hasen und Eier geht).

Das Osterfest naht© Pexels_Jill Wellington_Anna Shvets

Denn nach der Kreuzigung ist süßer Genuss an der Reihe: Goldhasen mit Glöckchen, Nester voller Süßigkeiten, Suche nach Schokoladeneiern - entweder im Garten oder bei schlechtem Wetter indoor (gutes Versteck hinterm WLAN-Router). Ostern, das Hochamt des Süßen von Manner bis Niederegger, von Lindt bis Milka. Ist ja auch schön so! Und Österreich hat für Süßes ohnehin ein besonders goldenes Herz mit Wien als Welthauptstadt der Süßspeis. Dort gibt’s ja auch noch on top zu Oberlaa und Demel den süßen Tod und das süße Wiener Mädl.

Ein Ei kommt der Form einer Kugel recht nah. Ihr Kolumnist ist beim Thema, bei Mozarts Kugel, der „Mozartkugel“. Süß und im Gegensatz zum österlichen Schokoei, ganzjährig begehrt. Nun gibt es bekanntlich weder einen Goethewürfel noch einen Nietzschekegel, auch die Existenz eines Dürerzylinders ist unbekannt – aber es gibt eben die Mozartkugel! Zu einer dreidimensionalen geometrischen Figur bringt’s halt nicht jeder. Warum aber hat es Mozart mit der Kugel geschafft?

Von Wolferls kulinarischen Interessen steht einiges in dessen Briefen. Zu Mozarts Leibspeisen gehörten Rindfleisch mit Senf, Backhendl, Stör in Kapernsauce, Saiblinge, süsse Feigen, Fasan, Wachtel und gebratene Kapaune. Schokokugeln waren nicht dabei. In Mozarts Opern wird wenig  Essen aufgetischt - aber umso mehr getrunken. Warum allerdings der, von seinem Stand her zu den Feinschmeckern zählende Don Giovanni einen Billigwein zum Abendessen preist „Eccellente Marzemino“ (8,90 Euro im Supermarkt) mag sein Rätsel bleiben. Auch im „Don Giovanni“ findet man keine Erklärung für Mozarts Kugeln. Warum auch? Es gab zu Mozarts Zeiten keine Mozartkugeln!

Wolfgang Amadeus Mozart war fast 100 Jahre tot, da kreierte im Jahre 1890 der Salzburger Konditor Paul Fürst eine kleine kugelrunde Süßware. Er nannte sie „Mozart-Bonbon“. Schon damals ließ sich an der Salzach unter dem Namen Mozart alles Mögliche bestens vermarkten. Die Herstellung der Praline ist nicht kompliziert: ein Kern von Marzipanmasse grüner Pistazien wird von feinstem Nougat umhüllt und zur Kugel geformt; diese wird anschließend in ein Bad aus dunkler Schokolade getaucht, getrocknet und fertig. 1905 präsentierte Konditormeister Paul Fürst diese süße „Erfindung“ auf der Pariser Weltausstellung und wurde auch sofort für seine Leckerei mit der Goldmedaille ausgezeichnet. Ein Bonbon, ein Zuckerl indes war die Praline eher nicht und so nannte Paul Fürst auch bald sein Mozart-Bonbon „Mozart-Kugel“! Alles schön, süß, kugelig, rund und gut - nur in Sachen Patentschutz und Markenrechte war der Konditor Fürst ziemlich schwach auf der Brust.

Die Kugelkopierer hatten nach der Weltausstellung 1905 sofort freie Bahn. Schon vor dem Ersten Weltkrieg überfluteten industriell hergestellte Mozartkugeln den Markt. Damals (wie heute) wollte so ziemlich jeder Salzburgtourist dieses Standard-Souvenir, diese Schokokugel erwerben. Damals (wie heute) isst man sie entweder sofort, oder man nimmt die Mozartkugel mit nach Hause zum Verschenken (auch wenn sie bis dahin meist ihre Kugelform nur noch ahnen lässt). Von den Erben des Konditors Paul Fürst angestrengt, führte der Kampf um den Mozartkugelmarkt nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem Urheberrechtsstreit. Zunächst stritt man sich mit den Salzburger Konditoreien, später auch mit der bayerischen Konkurrenz. Die formte in Traunstein und Bad Reichenhall ebenfalls Schokokugeln mit dem berühmten Komponistennamen.

Alle Welt führt Krieg, Du, glückliches Österreich, führst Prozesse um Schokoladenkreationen: Auch um die wahre Sachertorte gab es jahrelange Rechtsstreitigkeiten (zwischen Demel und Sacher - ob der Anzahl der Marmeladenschichten unter der Kuvertüre). Bei Fürst ging’ s vor Gericht nicht ums Rezept der Kugeln, sondern um deren Vermarktung. Welcher Hersteller darf „seine“ Mozartkugel mit Attributen wie „echt“, „original“ und „Salzburger“ garnieren?

1996 gewannen die Nachfahren des Mozartkugel-Erfinders Paul Fürst die juristischen Kämpfe : Nur Kugeln aus dem Familienbetrieb Fürst (2,75 Millionen handgefertigt pro Jahr!) dürfen sich heute „Original Salzburger Mozartkugeln“ nennen! Fürsts härtester Konkurrent, die Salzburger Firma „Mirabell“ muss sich mit der Bezeichnung „Echte Salzburger Mozartkugel“ zufrieden geben.

So wurde um die Worte „echt“ und „original“ gerungen. Der mit Abstand größte Produzent von Mozartkugeln ist die deutsche (!) Firma Paul Reber aus dem bayerischen Bad Reichenhall. Dort produziert man jährlich mehr als 180 Millionen „echte“ Kugeln (500.000 Stück täglich!) – und weil das nicht reicht , um mit Mozarts Namen süße Geschäfte zu machen, erfand Reber auch noch die Mozartherzen. Der Salzburger Konkurrent „Mirabell“ zog nach und warf den Mozartthaler auf den Markt. Alles süß, alles schoko, alles Mozart oder was?

Wer heute nach Salzburg kommt und wen es dort nach einer „original“ Mozart-Kugel verlangt, dem sei hier geraten: Fürst! Fürst-Kugeln im silbernen Staniolpapier mit blauer Schrift aus der Salzburger Familienkonditorei sind die besten, eben die „originalen“ Mozartkugeln. Diese Empfehlung gilt immer und nicht nur zu Ostern. Die Konkurrenzkugeln können sich trollen und rollen und kugeln....Wolfgang Amadeus Mozarts Meinung zu den Mozartkugeln und ihrer Vermarktung unter seinem Namen werden wir eh nie erfahren. Ebensowenig  sind Therapieerfolge jener stark traumatisierten Osterhasen, denen man statt Schokoladeneiern Mozartkugeln in die Nester legte, bekannt.

#pascalmorche

ÜBER DEN AUTOR

QUIET WORDS ist die gar nicht so stille Betrachtung des ultimativ Weiblichen, eine politisch unkorrekte Kolumne, deren Verfasser die Frauen kennt, sie liebend gerne beobachtet und seine Gedanken hier exklusiv niederschreibt.

Der bekannte Journalist Pascal Morché gilt als pointierter Autor, seine Kolumnen und Kommentare in führenden Tageszeitungen und Magazinen wie FAZ, SPIEGEL, die ZEIT und FOCUS zu Themen der Gesellschaft, Mode, Kunst und Kultur sind legendär. Seine "Lesungen der besonderen Art" haben Kultstatus. Seine Bücher "365 Tage Fashion" gelten als Bibel für Fashion Victims. 
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