QUIET WORDS
Alltags-Betrachtungen von Pascal Morché
KI schlägt NK KO
Künstliche Intelligenz knockt natürliche Intelligenz aus
Diesmal schreibe ich über ein Thema, von dem ich absolut nichts verstehe, das mir aber Angst macht. Da es Ihnen wahrscheinlich genauso geht, sollten Sie den Text lesen . Denn warnen will ich, warnen vor künstlicher Intelligenz, auch als KI bekannt - und warnen wird man ja wohl noch dürfen.
Warum brauchen wir noch mehr KI? Wir geben uns doch sowieso schon aus der Hand: Orientierungssinn? Brauchen wir nicht, dafür ist das GPS zuständig. Bildung und Wissen? Brauchen wir nicht mehr, dafür gibt’s google. Fremdsprachen lernen? Brauchen wir nicht mehr, dafür gibt’s deepl. Autonomes, also fahrerloses Autofahren soll bald kommen. Schlaue Fitness-Shirts sagen einem, wann genug Kalorien verbrannt sind und ein Herzkasperl droht. Intelligente Häuser, die Leben vorgaukeln, wenn ihre Bewohner nicht zuhause sind und Jalousien hochziehen oder den Rasenmäher starten, gibt’s schon längst; und auch das Töten, diese intensivste Beschäftigung mit dem Mitmenschen, überlässt man Drohnen. Wir outsourcen uns selbst, unser Tun und unser Denken. Das scheint für viele eine tolle Sache zu sein: Roboter übernimm!
Künstliche Intelligenz (KI) ist in aller Munde. Bildern im Internet ist schon längst nicht mehr zu trauen, Deepfakes zeigen uns eine Wirklichkeit, die nicht existiert, aber große Techkonzerne liefern sich Wettrennen um neueste Errungenschaften der KI. So ist ChatGPT ein textbasiertes Dialogsystem, das mit Informationen nach Algorithmen alles zusammensucht, was man als Autor braucht, um Texte zu schreiben. Wie das alles technisch funktioniert, weiß ich nicht. Aber das habe ich Ihnen ja schon im ersten Satz geschrieben.
Dass die Menschenheit ihr bisher traditionelles Selberdenken und Selberentscheiden und Selbermachen zukünftig künstlicher Intelligenz überlässt, macht inzwischen sogar Brancheninsidern Angst. Selbst Technikfan Elon Musk, das Kindergesicht von Tesla und nie um ein Geschäft verlegen, warnt inzwischen vor KI: Künstliche Intelligenz kann tiefgreifende Risiken für die Gesellschaft und die Menschheit darstellen. „Wir müssen uns fragen, sollen wir wirklich alle Jobs automatisieren, auch die, die uns erfüllen?“ (Zum Beispiel das Schreiben dieser Kolumne!) „Sollen wir wirklich nicht-menschliche Intelligenzen entwickeln, die uns irgendwann übertreffen, überlisten, überflüssig machen und ersetzen werden? Sollen wir wirklich den Kontrollverlust über unsere Zivilisation riskieren?“ Diese Fragen stellt immerhin Elon Musk. Ich stelle sie mir auch. (Das ist übrigens so ziemlich das Einzige, was Elon und Ihr Kolumnist gemeinsam haben .) Ich stelle aber noch ein paar andere Fragen. Ach ja, und übrigens wird der Text jetzt lustiger. Das zeigt Ihnen auch, dass er nicht von Künstlicher Intelligenz geschrieben wurde, denn KI kennt (im Gegensatz zu Ihrem hoffentlich geschätzten Autor) keine Tabus, keine Scham und KI hat keinen Humor. Also frage ich:
Ist unsere natürliche Intelligenz eigentlich voll ausgeschöpft, dass wir unbedingt künstliche brauchen? Ich sehe nämlich um mich herum eher Verblödung als Erweiterung oder zumindest Nutzung vorhandener, natürlicher Intelligenz. Sollten wir nicht erstmal unsere eigenen Ressourcen nutzen? Also alles was Kleinhirn und Großhirn hinterm Frontallappen im Kopf einem zu bieten haben? Ich glaub, da liegt vieles brach, da ist noch Potenzial. Außerdem sind Intelligenz, Cleverness und Bildung ziemlich verschiedene Dinge. Ein intelligenter Mensch kann absolut ungebildet sein; und einem Hochgebildeten kann jede Cleverness fehlen, um irgendwie die Hürden des Lebens zu meistern. Vor allem: Ein kluger Mensch macht nicht alle Fehler selber. Er gibt auch anderen eine Chance.
Auch gegen Outsourcing ist nichts zu sagen, wenn ein dummer Mensch einen Klugen zum Lebenspartner wählt
. So aber, mit unserem Glauben an die Segnungen künstlicher Intelligenz kann die Menschheit untergehen, nur weil sie ihren alten Traum vom Homunculus, dem künstlichen Menschen, endlich technisch verwirklichen kann. Frankensteins Monster strikes back! Das sollte man nicht ganz vergessen. Oder mal den Zauberlehrling von Goethe lesen. Denn, wenn wir uns künstlicher Intelligenz ausliefern, werden wir irgendwann rufen: „Herr, die Not ist groß! / Die ich rief, die Geister / Werd ich nun nicht los.“ Aber, da wird kein Herr und alter Meister kommen. Wir werden, im Gegensatz zum Zauberlehrling in Goethes Gedicht: Absaufen.
#pascalmorche
ÜBER DEN AUTOR
QUIET WORDS
ist die gar nicht so stille Betrachtung des ultimativ
Weiblichen, eine politisch unkorrekte Kolumne, deren Verfasser
die Frauen kennt, sie liebend gerne beobachtet und seine Gedanken hier
exklusiv niederschreibt.
Der bekannte Journalist Pascal Morché gilt als pointierter Autor, seine Kolumnen und Kommentare in führenden Tageszeitungen und Magazinen wie FAZ, SPIEGEL, die ZEIT und FOCUS zu Themen der Gesellschaft, Mode, Kunst und Kultur sind legendär. Seine "Lesungen der besonderen Art" haben Kultstatus. Seine Bücher "365 Tage Fashion" gelten als Bibel für Fashion Victims.
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