QUIET WORDS
Betrachtungen des ultimativ Weiblichen
Es geht ums Loch: Minigolf und Nietzsche
Wer sein Glück beim Paragliding in Alaska und beim Tauchen auf den Malediven sucht, sollte diese Kolumne NICHT lesen!
Vieles kann man versenken: das Nazigold im Toplitzsee, das Smartphone im Klo oder den Golfball im Loch. Während das Versenken von Gold und Handy recht einfach geht, ist es mit dem kleinen Ball (wann wird eigentlich eine Kugel zum Ball?) nicht ganz einfach. Ihr Kolumnist kannte einst eine wundervolle Frau, die ihm die Schönheit von belgischen Golfplätzen oder jene des edlen Areals vom „Golfclub Falkenstein“ in Hamburg näher bringen wollte. Der Kolumnist verstand beides nicht, weder die Frau noch den Golfsport. Leider. Er begriff Tiger Woods nicht und fand Pullover im Karodesign von Burlington Socken einfach unsexy.
Gut, ein paar Witzchen waren ganz nett: Was haben Golfplätze und Dominastudios gemeinsam? Man gibt viel Geld aus, um gedemütigt zu werden. Oder der Klassiker: Spielen Sie Golf, oder haben Sie noch Sex? Dieser Kalauer gehört erweitert: Hatten Sie schon mal Sex, oder spielten Sie immer Minigolf? Ich bin beim Thema dieser Kolumne angekommen, beim Minigolf!
Minigolf ist keine Extremsportart mit hohem Verletzungsrisiko; es ist eine Präzisionssportart wie Boccia, Billard oder auch Eisstockschießen. Doch haftet dem Minigolf die Aura der absoluten, nicht mehr steigerungsfähigen Spießigkeit an. Aber, was kann die Automarke Opel (gute Autos) oder die Bartnelke (schöne Blume) dafür, dass man sie für spießig hält? Die Aura der Nierentischchen-Biederkeit hängt allem an, dass sich in den 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts etablierte. Und so rümpfen wir 2021 arrogant die Nase vorm kleinen Glück von damals.
„Wer hat’s erfunden?“, fragt man aus erfrischtem Ricola-Rachen? Antwort „Die Schweizer!“ 1954 wurde in Ascona am Lago Maggiore die erste Minigolf-Anlage in Betrieb genommen. Sie folgte den Plänen des Schweizer Gartenbauarchitekten Paul Bongni, der für Minigolf bereits 1950 ein Patent eingereicht hatte, welches 1953 bewilligt wurde (Schweizer sind langsam). Ende des Jahres 1954 gab es dann bereits 18 Minigolf-Anlagen - die sich allesamt in der Schweiz befanden. Ich finde, ein Volk das etwas so liebenswertes und bezauberndes wie Minigolf erfindet, kann nicht böse sein. Es kann keine Diktatoren an die Macht bringen und keine Kriege entfesseln. Die Schweiz beweist es.
Minigolf ist eine Modellwirklichkeit, ähnlich einer Märklin-Eisenbahn. Eine kleine, heile Welt aus 18 Bahnen und 18 Löchern; eine Welt, möbliert mit Hollywoodschaukel und Kiosk. Dort gibt es, was der moderne Mensch „Equipment“ nennt und doch nur aus Golfschläger, Ball, Klemmbrett, Bleistift und Block besteht. Dem Kolumnisten liegt es fern, sich hier in Regeln zu ergehen, davon versteht der „Österreichische Minigolf Sport Verband“ in Graz mehr. Ihrem Kolumnisten geht’s rein um psychologisch philosophische Fragen rund ums Loch.
„Ein Loch ist da, wo etwas nicht ist. Das Loch ist ein ewiger Kompagnon des Nicht-Lochs: Loch allein kommt nicht vor, so leid es mir tut“. Kurt Tucholsky weist hier auf den „Kompagnon“ des Lochs hin: Die Bahnen, sie sind die Welt des „Nicht-Lochs“. Ich frage mich: welche Hirne denken sich diese bizarren Schikanen auf den Bahnen aus? Welchen Seelen entspringen diese hundsgemeinen Hindernisse, die den Weg zum Loch so schwer machen? Klar, es gibt Bahnklassiker wie „Niere“, „Pudding“ oder „Doppelwelle“. Aber es gibt anspruchsvollere Parcours. Ein Journalist und Minigolf-Fan des Guardian hat sie aufgelistet. Empfehlenswert: Bahnen, die von Episoden aus der Bibel inspiriert wurden. Solches gibt’s in den USA. Im „Lexington Ice&Rec Center“, in Kentucky stellen sich dem Ball des Minigolfers Hindernisse aus dem Alten Testament in den Weg: „Baum der Erkenntnis“, „Himmelsleiter“ oder der „Berg Sinai“ – „das härteste und höchste Loch im Vulkanstil, das ich je gesehen habe“, so der Autor des Guardian. Er empfiehlt auch eine Minigolf-Anlage unter einem Beeerdigungsinstitut in Chicago: „Golf Course - Ahlgrim Family Funeral Services.
Minigolf-Anlagen sind zweifellos Ausdruck menschlicher Kreativität. Und wo sich Kreativität ausdrückt, sind wir (heute zumal) ganz schnell beim Kunstwerk. Das dachten sich im Jahr 2017 die Wiener Kulturinstitutionen Leopold Museum, Kunsthalle Wien, Architekturzentrum Wien sowie Q21, als sie Künstler baten, Minigolf-Bahnen für eine Anlage vor dem Wiener MuseumsQuartier zu gestalten. Nun gibt’s hier als „MQ Amore“ jeden Sommer einen bespielbaren „Skulpturenpark“ als „Kunst im öffentlichen Raum“. Schade, dass so richtig verspielte Künstler leider schon alle tot sind. Die Minigolf-Bahnen von Alexander Calder oder Jean Tinguely würden wahrscheinlich alles Vorstellbare übertreffen.
Zurück, wo Minigolf begann, in die Schweiz! Dort, in Sils Maria spielte ihr Kolumnist unlängst mal wieder Minigolf. Er war enflamiert, zu Thema und Text inspiriert. Hier liegt in einem Lärchenwäldchen die bezauberndste Minigolf-Anlage der Welt. Sie gehört zu dem schönsten Hotel der Welt, dem „Hotel Waldhaus“ und stammt aus den Anfängen des Minigolf-Spiels in den 50er-Jahren. „Die Bahnen sind so alt wie ich und auch so schräg“, stellt Urs Kienberger, Senior der Waldhaus-Hoteliersfamilie, die Analogie zwischen Mensch und Minigolf-Anlage her. Sils Maria, das ist Friedrich Nietzsche, der hier manchen Sommer verbrachte. Er spielte in Sils Maria gewiss nicht Minigolf. Hier in den Lärchenwäldern begegnete dem Philosophen vielmehr Zarathustra. Aber hier, jenseits von Gut und Böse, schrieb Nietzsche „ganz nur Spiel, ganz See, ganz Mittag, ganz Zeit ohne Ziel.“ Gerade ihm, der sich mit dem „Übermenschen“ beschäftigte, hätte wahrscheinlich die Minigolf-Anlage im Lärchenwald, diese Modellwirklichkeit einer heilen Welt sehr gefallen. Minigolf, kontemplative, meditative Harmlosigkeit: „ganz nur Spiel...Zeit ohne Ziel“.
#pascalmorche
ÜBER DEN AUTOR
QUIET WORDS
ist die gar nicht so stille Betrachtung des ultimativ
Weiblichen, eine politisch unkorrekte Kolumne, deren Verfasser
die Frauen kennt, sie liebend gerne beobachtet und seine Gedanken hier
exklusiv niederschreibt.
Der bekannte Journalist Pascal Morché gilt als pointierter Autor, seine Kolumnen und Kommentare in führenden Tageszeitungen und Magazinen wie FAZ, SPIEGEL, die ZEIT und FOCUS zu Themen der Gesellschaft, Mode, Kunst und Kultur sind legendär. Seine "Lesungen der besonderen Art" haben Kultstatus. Seine Bücher "365 Tage Fashion" gelten als Bibel für Fashion Victims.
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