QUIET WORDS
Betrachtungen des ultimativ Weiblichen
QUIET WORDS
ist die gar nicht so stille Betrachtung des ultimativ Weiblichen, eine politisch unkorrekte Kolumne, deren Verfasser die Frauen kennt, sie liebend gerne beobachtet und seine Gedanken hier exklusiv niederschreibt.
Der bekannte Journalist Pascal Morché gilt als pointierter Autor, seine Kolumnen und Kommentare in führenden Tageszeitungen und Magazinen wie FAZ, SPIEGEL, die ZEIT und FOCUS zu Themen der Gesellschaft, Mode, Kunst und Kultur sind legendär. Seine Bücher "365 Tage Fashion" gelten als Bibel für Fashion Victims.
„Nicht sexy: Wenn Männer krank sind“
Sie können froh sein, dass hier heute überhaupt wieder eine Kolumne steht. Es geht mir so schlecht! Ihr Kolumnist ist nämlich krank. Wie das so ist im frühen Herbst mit Husten, Schnupfen, Heiserkeit. Und dann schnellt auch noch mein Fieberthermometer in die Höhe! 37,5 Grad: den Defibrillator sollten Sie für mich schon mal auspacken. 37,6 Grad: Die Kernspinröhre wird bereit gemacht. 37,7 Grad: Ich höre den Rettungshubschrauber über dem Haus. Wenn mein Fieber dann an der 38 Grad-Marke kratzt, sollten Sie wissen, dass ich mich um alles gekümmert habe: Testament, Patientenverfügung, Feuerbestattung, Gräberfeld etc...
Ich bin wahrscheinlich wie alle Männer: Wenn wir die Nase auch nur ein bisschen voll haben, sind wir gleich krank. Sterbenskrank sogar. Eine leicht erhöhte Körpertemperatur von nur siebenunddeißigkommasechs reicht völlig aus, um festzustellen: Männer sind unverbesserliche Hypochonder. Schon beim kleinsten Anflug von Grippe rechnen wir mit unserem baldigen Tod, der sich nur durch aufopferndes Bemühen des weiblichen Pflegepersonals verhindern lässt. Und dass Hypochondrie reine Männersache ist, beweisen bekennende Opfer wie Thomas Mann, Winston Churchill, Franz Grillparzer, Woody Allen oder Harald Schmidt. Schöner Leiden - das können nur wir Männer. In Zeiten der Genderforschung hätte Molière sein Theaterstück natürlich auch „Die eingebildete Kranke“ nennen können. Hat er aber nicht. Stattdessen machte er einen Mann zum wehleidigen Zentrum seiner Komödie. Und das aus gutem Grund.
Um eines gleich klarzustellen: Hier geht es nicht um Schmerzempfindlichkeit. Zwar existiert ja die landläufige Meinung: „Wenn Männer Kinder zur Welt bringen müssten, wäre die Menschheit längst ausgestorben.“ Doch das wäre angesichts dieser Menschheit vielleicht gar kein so großes Unglück. Und zweitens haben Mediziner festgestellt, dass unser Hormon Testosteron (ist jemandem schon mal die phonetische Nähe zu Ferrari Testarossa aufgefallen?); dass also unser Testosteron das Schmerzempfinden sogar abschwächt. Dass uns Männern der Akt des Gebärens erspart bleibt, ist also absolut kein Argument, unsere Leidensfähigkeit in Frage zu stellen. Auch nicht am Andreaskreuz.
Wehleidigkeit und Hypochondrie sind ganz andere Phänomene als Schmerzempfinden. Lassen Sie sich das von einem Mann wie mir bestätigen; einem Mann, der beim Zahnarzt so viele Betäubungsspritzen braucht, dass man auch eine Herz-Operation gleich mitmachen könnte. Nein, Hypochondrie ist etwas anderes. Und wir Männer haben gute Gründe schön dramatisch und echt bemitleidenswert zu jammern.
Kaum dass wir dem Halsweh unserer inneren Stimme folgen und eher kränkelnd als krank darniederliegen, beginnen wir auch schon – anders als Frauen – das Beste aus unserer beklagenswerten Situation zu machen. Strategisch und taktisch eingesetzt, ist unser Wehklagen ja nichts anderes als ein verzweifelter Schrei nach Zuneigung, nach Zärtlichkeit und Liebe. Wird uns das alles zuteil, leiden wir aus bloßer Dankbarkeit sogar noch ein wenig mehr.
Den Trick hatten wir übrigens schon früh raus: Viele von uns wollten bei kindlichen Indianer- und Räuberspielen genau aus diesem Grund immer so gern den Part des Verwundeten übernehmen. Nur, um sich so das lindernde Streicheln einer wärmenden Mädchenhand zu erschleichen. Von wegen, ein Indianer kennt keinen Schmerz. Erträgt er den Schmerz, wird er bewundert; gibt er sich dem Schmerz hin, wird er gestreichelt. Ich habe immer Letzteres, das Streicheln einer angehenden Florence Nightingale, vorgezogen. Heute frage ich mich, welche aktuellen, scheinbar harmlosen Anzeichen wie Müdigkeit oder Unkonzentriertheit zum Beispiel auf die Vogelgrippe hinweisen. Oder ob die gerötete Hautstelle an meinem Hals, die ich manchmal nach dem Rasieren so überaus kritisch wahrnehme, nicht eben doch auf Ebola schließen lässt.
Dass Frauen weniger anfällig für Krankheiten sind, hat viele Gründe. Während uns Männern im Büro bestenfalls eine Koffeinvergiftung niederstrecken könnte, setzen sich Frauen permanent den gesundheitlichen Gefahren des täglichen Lebens aus. Schon der alltägliche Umgang mit den Schnupfenbataillonen hustender Kinder macht sie resistent gegen Viren, Bakterien und sonstige Krankheitserreger. Wir, den ganzen Tag in Büros weggeschlossene Männer dagegen, sind Bazillenangriffen viel seltener ausgesetzt als Frauen. Verständlich, dass wir völlig unabgehärtet schon auf dem kurzen, zugigen Weg vom überheizten Büro zur kalten Tiefgarage eine schwere Influenza fürchten müssen.
Ich gebe ja zu, dass ich mich einer Erkältung mit solch starkem Wehklagen hingeben kann, dass auf der nächsten Intensivstation die Betten bezogen werden. Und natürlich gehe ich davon aus, dass das weibliche Pflegepersonal dort hübsch ist. Bei 37,6 Grad Körpertemperatur habe ich in meinem eingebildeten Fieberwahn ja Phantasie genug, um mir Krankenschwestern auf Highheels vorzustellen, auch wenn sie mit Birkenstocksandalen rumlaufen.
Fazit: Unsere große Angst vor der Krankheit wird gerne als narzisstische Neurose interpretiert. Zwar macht sie uns nicht erotisch und schon gar nicht sexy, aber sie ist eben doch der Wunsch, lieb gehabt zu werden – auch wenn wir mal nicht überraschender Weise und so ganz „von uns aus“ den Mülleimer runterbringen oder uns den Hochzeitstag gemerkt haben. Deshalb: Wir Männer sollten uns bei einem Schnupfen nicht ganz so „wichtig“ nehmen – und Frauen sollten uns Männer nicht ganz so „ernst“ nehmen, wenn wir mal niesen müssen. Vor allem aber müssen Frauen sich zukünftig zweimal überlegen, ob sie einem Hypochonder wirklich „Gesundheit“ wünschen. Das könnte nämlich als vollkommen taktlos empfunden werden. #quietwordspascalmorche
Pascal Morché