QUIET WORDS
Alltags-Betrachtungen von Pascal Morché
ALLES BANANE ?
Die Kiste für’s Leben
Sie wissen, in dieser Kolumne werden die seltsamsten Themen behandelt. Ihr Kolumnist hofft, dass das immer so geschieht, dass Sie sich nicht langweilen. Diesmal geht’s um Bananenkisten.
Also, meine Chefredakteurin (immer noch die beste, auch wenn sie jetzt einen anderen Mann hat) fuhr Fahrrad und das auch noch in Wien. Das muss mit dem neuen Mann zusammenhängen. Nun, „man kann eine Frau nicht hoch genug überschätzen“, sagte schon Karl Kraus. Daran sollte ich mich unbedingt halten, denn eben die beste aller Chefredakteurinnen stellte sich mir immer eher als Nichtfahrradfahrerin dar. Nun denn, der Weg führte die Frau über den Naschmarkt (allen die es nicht wissen: Naschmarkt kommt von Asche und nicht von Naschen). Also auf jenem Markt, auf dem Tandler und Strandler und auch Sandler Waren feilbieten (Flohmarkt) stachen ihr Berge von Bananenkisten ins Auge. Dieses Vorgeplänkel nur, damit Sie wissen, auf welche Weise Ihr Kolumnist hier manchmal zu seinem Thema kommt. Vielleicht fielen meiner Chefredakteurin zum ersten Mal Bananenkisten auf (frisch verliebt sieht man ja einerseits mehr, andererseits auch leider deutlich weniger). Also, sprach sie, ich, ihr Schreibknecht, möge mich mal der Bananenkisten annehmen.
Tatsächlich ist die Bananenkiste ein Basic. Das war mir bisher auch nicht aufgefallen. Zwar spotte ich gerne über ein anderes Basic, über die Europalette! Schließlich zimmern aus Europaletten kreative Zeitgenossen mit Bohrer und Schrauber seltsame Gartenmöbel zusammen; aber Bananenkisten? Ja, doch, es gibt über sie einiges zu sagen - zumindest soviel, dass es in diese Kolumne passt. Eine Bananenkiste, auch Bananenkarton genannt, hat die Abmessungen Höhe 24 cm, Breite 54 cm und Tiefe 39 cm. Bei einem Volumen von 0,05 Kubikmetern entsprechen 20 Kisten ungefähr einem Kubikmeter. Mit Bananen gefüllt, liegt ihr Gewicht bei 18 Kilogramm.
Manche Menschen ziehen mit Bananenkisten um (bzw. österr. sie „übersiedeln“). Mit flehenden und bettelnden Augen stehen sie vor den Chefs von Supermärkten und erschleichen sich Zutritt zum backstage-Bereich von Fruchtabteilungen um (gratis!) in den Besitz der begehrten Bananenkisten zu gelangen. Alle Supermarktleiter kennen diese Bananenkistenschnorrer. So wirklich clever ist es aber nicht, die Dinger für einen Umzug zu nutzen, denn Bananenkisten haben am Boden ein großes, rechteckiges Loch. Man sollte unten großformatige Bücher reinlegen, die dann quasi als Kistenboden dienen. Wer das Loch der Amfortaswunde ähnlich schließt, dem allerdings ist Erlösung bei seiner Sehnsucht nach Ordnung gewiss: Bananenkisten sind leicht, stabil, belast- und stapelbar. Eine echte Erfindung südamerikanischer Bananenrepubliken: Da Bananen nämlich äußerst druckempfindlich sind, kam man in den 1950er-Jahren auf die Idee, auf Bananenplantagen Packhäuser zu errichten, um hier die Bananenhände für die genormten Kühlcontainer der Transportschiffe schützend zu verpacken. Übrigens gelangen auch heute noch gelegentlich einzelne Giftspinnen der Gattung „Phoneutria“ in Bananenkisten auf Frachtschiffen aus Costa Rica oder Brasilien nach Europa. Unbeabsichtigt. Also, wenn Sie in einem Supermarkt direkt in einer Bananenkiste wühlen, um die gelbsten oder grünsten dieser Früchte zu erhaschen, denken Sie ruhig an die entzückende Bananenspinne namens „Phoneutria“ (ist altgriechisch und heißt „Mörderin“.)
Lagerhaltung auf Bananenkartonbasis ist ideal. Weil es nichts gibt, über das sich nicht schon ein Spaßvogel Gedanken gemacht hat (Ihr Kolumnist ist also hier nicht der erste Spaßvogel) sei der Korrektheit halber auf eine profunde und für alle Amateur- wie Profi-Lageristen bahnbrechende Arbeit hingewiesen: „Friedrich Hirsefelder: Der Bananenkarton als Grundlage des deutschen Antiquariatsbuchhandels. Eine volkswirtschaftliche Studie. In: „Aus dem Antiquariat“, Beilage zum Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 34, vom 29. April 1994.“ Der Autor berichtet wahrheitsgemäß „wie viele Onkel-Tuca-Kartons die Sophien-Ausgabe von Goethes Werken erfordert und wie viele Bände der Stefan-George-Ausgabe, endgültige Fassung, in einen Chiquita-Karton passen.“ Als absoluter Kenner der Bananenkartonmaterie rät der erfahrene Buchhändler Hirsefelder dringend davon ab, „einen Del-Monte-Deckel mit runden Löchern auf einen Dole-Karton mit Schlitzen zu stülpen“, und befasst sich in seinem Essay eingehend mit den EU-Richtlinien der genormten Bananenkartons.
Nur eines darf der Bananenkarton, dieser zweiteilige Behälter aus Wellpappe nicht, er darf nicht feucht werden. Dann gerät er schnell aus der Facon, sein Inhalt bricht durch. Der Österreicher als absoluter Kellerfan (Uli Seidl) und ausgewiesener Kenner ebenso feuchter wie auch trockener Souterrains weiß, wovon der Kolumnist schreibt... Bleibt die Bananenkiste jedoch schön trocken, so ist sie durch ihre genormte Form, ihre hohe Tragfähigkeit (ca 22,68 kg) und hohe Belastbarkeit (bis zu zehn Kisten übereinander) sowie kostengünstige Beschaffbarkeit als Behälter in Zweitfunktion zum Archivieren, als Umzugskarton, oder eben für den Antiquariatsbuchhandel äußerst beliebt.
Noch ein Wort über den künstlerischen Aspekt von Bananenkisten.
Es lohnt sich, sie genauer zu betrachten! Ihre Gestaltung erinnert mit bunten, naiven, allegorischen Motiven an Bilder von Henri Rousseau und Frida Kahlo; an koloniale Zeiten und Bananenplantagen als folkloristische Heile-Welt-Kulisse. Politisch unkorrekte Darstellungen auf der Wellpappe von Bananenkisten erzählen noch immer von fernen Ländern, während Sarotti- und Meinl-Mohren längst der Mund verboten wurde. So, Ihr beauty.at-Kolumnist hat auch wirklich alles zur Bananenkiste gesagt. Jetzt ist Ruhe im Karton.
#pascalmorche
ÜBER DEN AUTOR
QUIET WORDS
ist die gar nicht so stille Betrachtung des ultimativ
Weiblichen, eine politisch unkorrekte Kolumne, deren Verfasser
die Frauen kennt, sie liebend gerne beobachtet und seine Gedanken hier
exklusiv niederschreibt.
Der bekannte Journalist Pascal Morché gilt als pointierter Autor, seine Kolumnen und Kommentare in führenden Tageszeitungen und Magazinen wie FAZ, SPIEGEL, die ZEIT und FOCUS zu Themen der Gesellschaft, Mode, Kunst und Kultur sind legendär. Seine "Lesungen der besonderen Art" haben Kultstatus. Seine Bücher "365 Tage Fashion" gelten als Bibel für Fashion Victims.
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