QUIET WORDS

Alltags-Betrachtungen von Pascal Morché

Die Pest in der Stadt

Infantilfahrzeug eScooter

Störfaktor eScooter© Pascal Morché

Es ist großartig für mich als Autor,  dass ich in dieser Kolumne schreiben, darf was ich will. Meine Verlegerin und Chefredakteurin lässt mir (auch) hier jede Freiheit. (Das ist nicht mehr unbedingt üblich in Verlagen). Aber, ich schreibe ja auch nichts Tagespolitisches oder Pornographisches hier. Und so habe ich auch keine Lust, mich zu Rammstein und Till Lindemann zu äußern. Oder überhaupt zu Sexskandalen mit und von Groupies. Früher haben Groupies  wie Uschi Obermaier Bücher geschrieben, wie toll der Sex mit Rockstars war; heute posten sie auf Twitter oder Instagram, wie furchtbar der Sex mit Rockstars ist. Mich betrifft das alles nicht, ich habe keine Groupies und höre sowieso lieber Franz Schubert. Allerdings sagte ich meiner Chefredakteurin, dass die Texte von Till Lindemann nicht schlecht sind und bemerkte: „Das ist die Fortsetzung der Lyrik von Gottfried Benn mit andern Mitteln“. Sie lachte und meinte, diesen Satz solle ich unbedingt in der nächsten Kolumne unterbringen. Okay, ist hiermit geschehen.

Sollten Sie Gottfried Benn (Hautarzt und Lyriker) nicht kennen, googeln Sie einfach die Gedichte „Morgue“ oder auch nur „Kleine Aster“ . Sie wissen dann gleich, was ich meine: Wilder Ekel, geiles Grauen, wie bei Till Lindemann. Der hat zwar auch noch Düfte namens „Pussy“ oder „Kokain“ auf den Markt gebracht und Gottfried Benn nicht. Obwohl: „L’Eau de Benn“ klingt eigentlich gar nicht schlecht. Keine Ahnung, ob Sie mir bis hierher lesend gefolgt sind, denn eigentlich wollte ich über Manieren schreiben. Also, dass Umgangsformen Formen sind, die häufig umgangen werden. (Und ich meine nicht, was backstage bei Rammstein abläuft). Wenn ein In-den-Mantel-helfen heute schon Alltagssexismus sein kann, dann hat’s Herr Lindemann mit Aus-dem-Mantel-helfen wahrhaftig nicht leicht. Ja, es gibt Frauen, die halten es für anzüglich, wenn man ihnen die Tür aufhält oder den Kinderwagen über drei Stufen hebt; von einem charmanten Küss-die-Hand-gnä’Frau ganz zu schweigen. Für manche ist das schon eine mittlere Vergewaltigung. Hat unsere Welt also keine anderen Probleme in Bezug auf Benehmen und Manieren? Doch hat sie!

Eines der Hauptprobleme ist der Umgang miteinander im öffentlichen Raum! Männer wie auch Frauen sind auf den Straßen in ihr Mobilphone vertieft und rempeln andere Fußgänger an. Männer wie auch Frauen bleiben am Ende einer Rolltreppe einfach stehen, um WhatsApps zu checken. Menschen beiderlei Geschlechts lassen ihre E-Scooter quer auf dem Gehweg liegen. Niemand verschwendet auch nur einen einzigen Gedanken, dass jemand darüber stürzen könnte. Es mangelt dem modernen Menschen nicht nur an Vorsicht und Rücksicht, sondern vor allem an Umsicht. E-Scooter, diese, der infantilen Fortbewegung dienenden „Verkehrsmittel“, sie sind die Pest! Kindisches Glück scheinen E-Scooter-Fahrer, dieser rasende Inbegriff der Spaßgesellschaft, zu empfinden, wenn sie Treibjagden auf wehrlose Fußgänger veranstalten.

Sinn und Ziel guter Umgangsformen sind seit Beginn der Zivilisation, mögliche Unannehmlichkeiten für sich und seine Mitmenschen auf ein Minimum zu reduzieren. Der Mensch ist schließlich nicht allein auf der Welt, auch wenn er sich heute, gerade im öffentlichen Raum, meist so fühlt – und benimmt, besonders, wenn er E-Scooter fährt (und parkt). In Paris sind die Dinger inzwischen verboten - kluge Stadtverwaltung! In Wien hat man seit dem 19. Mai 2023 die Regeln der E-Scooter-Benutzung drastisch verschärft - ebenfalls kluge Stadtverwaltung . Ein besonders schöner Trick zur Erziehung: Man muss seinen E-Scooter an fixen Abstellflächen parken – und wenn man das nicht tut, ist eine Beendigung des Mietverhältnisses technisch nicht möglich. Heißt: Park mich richtig, sonst läuft der Ticker weiter. Man kann Menschen eben nur über das Thema Geld erziehen und wenn das Zuckerbrot aus ist, muss eben die Peitsche ran. Oder der „denkende“ E-Scooter: Das chinesische Unternehmen Segway (der Hersteller dieser zweirädrigen Monster, auf denen meist Touristen stehen, um sich lächerlich zu machen) hat eine Technik entwickelt, bei der so ein Roller selbstgesteuert zu einer Ladestation zurückfährt. So bleibt es Menschen fürderhin verwehrt, sich ihres E-Scooters auf normale Weise zu entledigen, indem sie ihn in einen Fluß schmeißen, oder irgendwo quer auf dem Gehweg stehen lassen.

Haben Sie mal gesehen, wie verblödet grinsend Menschen auf E-Scootern stehen. Oftmals zu zweit, was verboten ist. Oder der kleine Angestellte, der cool sein will, mit blauem Anzug und weißen Sneakers? Nicht einmal bis in die Lower Middle Class wird er es auf einem E-Scooter bringen, niemals! Während diese Kolumne entsteht, lese ich „Zwei Jugendliche in Saarbrücken auf E-Scooter von Auto erfasst. Beide tot.“ Sie wollten zum Döneressen. Es gibt eben viel schlimmere und traurigere Themen als die Sexualität des Herrn Lindemann. Zu den traurigsten Themen gehört der Umgang miteinander in unseren Städten und nicht backstage nach einem Rockkonzert.
#pascalmorche

ÜBER DEN AUTOR

QUIET WORDS ist die gar nicht so stille Betrachtung des ultimativ Weiblichen, eine politisch unkorrekte Kolumne, deren Verfasser die Frauen kennt, sie liebend gerne beobachtet und seine Gedanken hier exklusiv niederschreibt.

Der bekannte Journalist Pascal Morché gilt als pointierter Autor, seine Kolumnen und Kommentare in führenden Tageszeitungen und Magazinen wie FAZ, SPIEGEL, die ZEIT und FOCUS zu Themen der Gesellschaft, Mode, Kunst und Kultur sind legendär. Seine "Lesungen der besonderen Art" haben Kultstatus. Seine Bücher "365 Tage Fashion" gelten als Bibel für Fashion Victims. 
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