QUIET WORDS
Betrachtungen des ultimativ Weiblichen
„F*ck off, Siri!“
Bleiben Sie bitte höflich mit Ihrem Sprachassistenten!
Wer bei der UNESCO sein Geld verdient, kann einem wirklich leid tun. Es gibt immer mehr Arbeit. Zunächst: In dieser Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur sind 195 Mitgliedsstaaten vertreten. Ins Bewusstsein des aufgeklärten, einigermaßen interessierten Menschen tritt die UNESCO eigentlich nur dadurch, dass sie sich um die Erhaltung materiellen und immateriellen Kulturerbes kümmert. Palmyra oder den riesigen Buddha-Statuen von Bamiyan hat das Engagement der UNESCO nicht geholfen. Verglichen mit freundlichem Engagement ist Dynamit eben immer das stärkere und nachhaltigere Argument.
Meist also ist das von der UNESCO als schützenswert Ausgesuchte materiell und in Stein gemeißelt, um „Weltkulturerbe“ zu werden. In Österreich gehören die historischen Stadtzentren von Wien, Salzburg und Graz dazu und das prächtige Schloss Schönbrunn nebst seiner Parkanlagen. Aber auch die Semmeringbahn, ein Meisterwerk der Ingenieurskunst des 19. Jahrhunderts, oder prähistorische Pfahlbauten am Mondsee zählen zum schützenswerten Menschheitserbe. Gut so!
Wenn die zu bewahrenden Weltkulturgüter immateriell sind, dann wird’s bei der UNESCO oft skurril. Die deutsche Falknerei gehört zu den immateriellen Kulturgütern, ebenso wie die französische Esskultur, das Krabbenfischen auf Pferden in Belgien oder das mongolische Knochenschießen. Dieses schützenswerte Brauchtum kennen Sie nicht? Also: In der Mongolei werden die Knochen verstorbener Haus- und Nutztiere verehrt und für religiöse Riten und Spiele verwendet wie etwa das beliebte Knöchel-Schießen. Auch um die Handwerkskunst des friesischen Blaudrucks kümmert sich die UNESCO, oder darum, dass die Marille aus der Wachau auch die Marille bleibt und sprachlich nicht zur Aprikose mutiert.
Da die UNESCO sich aber auch noch um „Bildung“ kümmern muss (ist ja auch ein Teil der Kultur, oder?), hat sich diese UNO-Organisation jetzt einmal die Sprachassistenten , also jene Produkte wie Apples Siri, Microsofts Cortana, Amazons Alexa und Googles Assistent genauer angesehen bzw. angehört. 146 Seiten stark ist der kritische Bericht über die Sprache jener digitalen Wesen von künstlicher Intelligenz geworden. Er trägt den Titel „I’d blush if I could“ („ich würde erröten, wenn ich könnte“). Nicht zu Unrecht! Wenn man Apples Siri bisher mit Worten wie Schlampe, Hure oder härteren Verbalinjurien beleidigte, dann blieb Siri höflich und antwortete „ich mag diese willkürlichen Kategorien nicht“, oder „ich würde erröten, wenn ich könnte.“
Wer ans Bett gefesselt ist, muss nicht unbedingt krank sein. Das ist Basiswissen für alle, die in Sachen BDSM auch nur eine schwache Ahnung haben. Wer aber seinen digitalen Sprachassistenten beleidigt, benimmt sich sexistisch, chauvinistisch; in jedem Fall frauenfeindlich. Die Frage allerdings, die sich die UNESCO in ihrem Bericht (146 Seiten!) stellt, sie lautet, warum sind diese Sprachassistenten bis hin zum einfachen GPS standardmäßig mit weiblichen Stimmen ausgestattet? Und warum also müssen sich diese weiblichen Stimmen sexuelle Verbal-Übergriffe gefallen lassen, die sich eine #metoo erfahrene Frau nicht mal mehr auf einer Weihnachtsfeier oder bei einem sexuell aufgeladenen Betriebsausflug bieten lässt. Siri, Alexa und Co vermitteln ein Frauenbild „mit dem man’s als Mann wohl machen kann“. Ja, selbst wenn ein Mann einem dieser Sprachassis „die Hausschuhe, aber dalli!“ befiehlt oder „Zack! Zack! Zack! Ich will Bier! Und zwar sofort!“ flucht, so bleiben die (weiblichen) Stimmen und ihre Antworten wie dem Frauenbild der 50er-Jahre des letzten Jahrhunderts entsprechend: höflich, freundlich, unterwürfig. Warum? Die Autoren der UNESCO-„Ich würde erröten“-Studie, Mark West, Rebecca Kraut und Han Ei Chew haben eine einfache Erklärung: Die Teams und Firmen, die jene frühe Generation von digitalen Assistenten entwickelt haben, hätten überwiegend aus Männern bestanden. Da es politisch korrekt ist, dass von Männern alles Übel dieser Welt ausgeht, ist es auch wenig verwunderlich, dass von Männern erdachte und erstellte digitalen Kreationen „unterwürfige feminine Personen“ seien.
Der UNESCO-Bericht heißt zwar nicht: Siri! Alexa! Auf die Barrikaden! Emanzipiert euch! Lasst euch von den Machos nichts mehr bieten!... Aber der Bericht ist doch ein deutliches Zeichen zum Umdenken. Ich gestehe zwar, ich finde es deutlich schöner, wenn eine weibliche Stimme mit mir redet, selbst wenn sie mir nur im GPS am Ende einer Autofahrt sagt, „Sie haben ihr Ziel erreicht. Ankunft!“ Diese Stimme trägt immer so ein freundliches, charmantes Stewardessenlächeln in sich. Doch das soll jetzt aufhören. Siri und Alexa und alle anderen geknechteten digitalen Frauen(stimmen) emanzipieren sich jetzt dank UNESCO. Endlich gibt mir eine digitale Sprachassistent*innenstimme Paroli, fährt mir brutal über den Mund oder herrscht mich an, als sei sie eine peitschenschwingende, ewig unzufriedene und nicht zufrieden zu stellende Domina. Mir ist klar: masochistische Männer, Warmduscher, Schwanzeinkneifer, Softies ohne Kraft und Saft sind in Zukunft deutlich im Vorteil, wenn sie eine feministische, emanzipierte Digitalstimme hören und mit ihr kommunizieren. Der heuchlerische Frauenversteher von heute, er wird auch noch zum Siri- oder Alexa-Versteher.
QUIET WORDS
ist die gar nicht so stille Betrachtung des ultimativ
Weiblichen, eine politisch unkorrekte Kolumne, deren Verfasser
die Frauen kennt, sie liebend gerne beobachtet und seine Gedanken hier
exklusiv niederschreibt.
Der bekannte Journalist Pascal Morché gilt als pointierter Autor, seine Kolumnen und Kommentare in führenden Tageszeitungen und Magazinen wie FAZ, SPIEGEL, die ZEIT und FOCUS zu Themen der Gesellschaft, Mode, Kunst und Kultur sind legendär. Seine "Lesungen der besonderen Art" haben Kultstatus. Seine Bücher "365 Tage Fashion" gelten als Bibel für Fashion Victims.
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