QUIET WORDS

Alltags-Betrachtungen von Pascal Morché

„Meeeega“ – der neue Lustschrei!

Mega - Der neue Lustschrei© Unsplash_EskayLim

Der Zugang zum passenden Wort ist nicht für jeden barrierefrei. Besonders schwierig scheint dieser Zugang, wenn es sich um Worte der Begeisterung handelt. Um sprachlich Euphorie, Emphase oder Ekstase auszudrücken, wählen viele Menschen deshalb lieber Laute als Worte und sagen dann: uiii oder boah oder wow .

Hier muss auch kurz an Johanne Theodolinde Erika Fuchs (1906-2005) erinnert werden. Die kluge Frau füllte Blasen, Sprechblasen. Als deutsche Übersetzerin und Chefredakteurin des Comic-Hefts Micky-Mouse erfand sie verbale Äusserungen wie ächz, grrrr, grummel oder jauchz. Ihr Einfluss auf die deutsche Sprache bei „nicht visuellen Aspekten des Geschehens im Comic“ ist gewaltig und reicht weit über Entenhausen hinaus. Dafür geehrt wurde Fuchs nicht nur mit dem Heimito-von-Doderer-Literaturpreis und der Benennung des Asteroiden 31175 als „Erikafuchs“. Vielmehr porträtierte sie der österreichische Disney-Verehrer Gottfried Helnwein 1991 für einen Gemälde-Zyklus, der unter dem Titel „Die 48 bedeutendsten Frauen des Jahrhunderts“ ausgestellt wurde. Doch damit nicht genug der füchsischen Ehrungen: Inzwischen bezeichnet die Germanistik jene emotionalen Lautäusserungen mit heiligem wissenschaftlichem Ernst als Erikative . Boah!

Doch Erikative, diese Emojis aus Buchstaben scheinen nicht zu genügen,  um staunende Begeisterung (wie auch begeistertes Staunen) auszudrücken. So gab und gibt es noch Worte wie super, toll, klasse, spitze (Hans Rosenthal), dufte (veraltet) oder knorke (berlinerisch veraltet, aber schon von Tucholsky und Alfred Döblin benutzt). Man kann, ganz nach geistigem Niveau und individuellem Sprachgefühl, diese Adjektive selbstverständlich auch synonym durch ein einfaches cool oder geil ersetzen. Cool und geil werden bleiben bis zum Jüngsten Tag! Der Gebrauch von cool und geil in emphatischen Momenten ist ebenso zeitlos wie alterslos und hirnlos.

Im, vom Kolumnisten so heiß geliebten Österreich hört man (besonders in Wien!) auch das wundervolle Wort leiwand . Dann ist immer etwas wirklich großartig oder richtig toll. Der Begriff ist dank Austropop und Wolfgang Ambros sogar noch steigerungsfähig, denn bekanntlich ist ja „Schifoan das Leiwandste, was ma si nur vorstö’n kann“. Allerdings kann einem ein Wiener leichter die perfekte Zubereitung von Powidltatschkerln erklären, als dass er einem Pifke sagt, woher das Wort leiwand stammt. Er weiß es nämlich nicht.

Nun, Leiwand leitet sich von Leinwand ab. Das kam so: Im 16. Jahrhundert galt das Wiener Bürgerspital als internationales Zentrum des Textil- des Leinenhandels. Der Leinenhandel entwickelte sich gut und die feilschenden Kaufleute belohnten sich für ausgezeichnete Geschäftsabschlüsse in der Bierschenke mit einem „Leinwandbier“ - und dieses Bier war eben sehr bald leiwand . Schön, dass es das Wort leiwand noch heute gibt, dass es sogar von der Jugend(!), gesprochen wird. Natürlich kann man auch hier eine Steigerung der Begeisterung erzielen, wenn man ein ur davor setzt. Dann ist’s eben urleiwand . Der Kolumnist hat in Wien neben urschön und urspät aber auch schon urgeil und urcool gehört – meist war dies der Freudenschrei junger Menschen, in deren Gesellschaft er sich dann eher uralt fühlte.

Seit einigen Jahren nun hat sich mega etabliert. Indem man den ersten Vokal von mega auch noch ins schier Unendliche dehnt und ihm dabei noch ein crescendo verpasst, ist meeeeega   heute der absolute Superlativ, um Begeisterung zu auszudrücken. Man sagt, mega sei Jugendsprache. Vielleicht gäbe es ja auch eine Altensprache? Wer sagt noch, dass etwas schön ist, wunderbar oder gar ausgezeichnet, grossartig vielleicht oder beeindruckend? Was gut und schön ist, das ist heute einfach nur noch mega . Nur, wo kommt’s her, dieses seltsame mega ? Mega ist eine griechische Vorsilbe und heisst „gross“. Stimmt! Das Megatherium ist ein ausgestorbenes Riesenfaultier, Megalomanie bezeichnet Grössenwahn und durch Megaphone wird das Brüllen lauter, also größer. Wir können sicher sein: Der letzte Schrei ist mega !
#pascalmorche

ÜBER DEN AUTOR

QUIET WORDS ist die gar nicht so stille Betrachtung des ultimativ Weiblichen, eine politisch unkorrekte Kolumne, deren Verfasser die Frauen kennt, sie liebend gerne beobachtet und seine Gedanken hier exklusiv niederschreibt.

Der bekannte Journalist Pascal Morché gilt als pointierter Autor, seine Kolumnen und Kommentare in führenden Tageszeitungen und Magazinen wie FAZ, SPIEGEL, die ZEIT und FOCUS zu Themen der Gesellschaft, Mode, Kunst und Kultur sind legendär. Seine "Lesungen der besonderen Art" haben Kultstatus. Seine Bücher "365 Tage Fashion" gelten als Bibel für Fashion Victims. 
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