QUIET WORDS
Alltags-Betrachtungen von Pascal Morché
Ghosting
Inbegriff der Feigheit
Unsere verlotterten Umgangsformen finden Sie hier ja immer wieder mal in eine Kolumne gepackt. Denken Sie nur an die Themen FOMO oder Sologamie . Dieses Mal geht’s um „ghosting“. Ich kannte den Begriff nicht, obwohl ich schon ein paar Mal geghostet (heißt wirklich so) wurde. Doch dazu später. Also: „Ghosting“ kommt aus der Jugendsprache (gibt es auch eine Altensprache?) und ist schon seit 2015 ein feststehender Begriff. Ghosting steht für Kontaktabbruch von Beziehungen oder Freundschaften ohne jede Erklärung. Wie ein Geist (Ghost) verschwindet ein Mensch beim Ghosting aus dem Leben. Kein Abschiedsgruß, keine erklärenden Worte. Nichts! WhatsApp-Nachrichten werden vielleicht gelesen, aber nicht mehr beantwortet. Anrufe, SMS, Postings, alles bleibt ohne Reaktion.
Es wird behauptet, Ghosting sei ein Kollateralschaden unserer digitalen Beziehungswelt, also ein Dating-Phänomen.
Was auf irgendeiner Online-Dating-Plattform digital unverbindlich beginnt, das endet analog ebenso unverbindlich durch Verschwinden. Substanzlos wie ein Geist oder ein Gespenst „haut sich der andere über die Häuser“ also „vertschüsst sich“ (öster.); oder „macht sich vom Acker“ (norddeutsch).
Erinnern Sie sich noch an meine vormals ‚weltbeste Nachbarin’?
Also jene Dame, deren Zähne kreuz und quer wie Orgelpfeifen nach einem Erdbeben im Kiefer stecken? Sie wissen schon, sie sagte am Altglascontainer zu mir: „Sie sind ein unangenehmer Mensch.“ Ich kann ihr noch immer nicht wirklich zustimmen, aber sie sei hier als Beispiel für das Gegenteil von Ghosting angeführt. Ihre Worte machen sie für mich zu einer wahren Heldin der analogen Auseinandersetzung. Ja, ich finde das ganz wunderbar, wenn man dem anderen sagt, „wie“ man ihn findet und „warum“ man absolut nichts mit ihm zu tun haben will. Auch wenn ich der andere bin.
Ghosting hingegen ist der Inbegriff der Feigheit. Der oder die andere geht einem „Abschieds“-Gespräch und klärenden Worten aus dem Weg. Das ist beleidigend, verletzend, denn man kann sich nicht erklären, nicht wehren. Ignoriert zu werden, ist schlimmer, als verbal zum Abschied eins in die Fresse zu bekommen. Ihr Beauty.at-Kolumnist empfindet halt noch sehr analog. Ich hab auch gern ein Grab, an dem ich trauern kann.
Inzwischen kümmern sich auch Psychiater und Therapeuten um Ghosting-„Opfer“. Krankenkassen bieten Tipps für jene im Off Zurückgelassenen. Es hilft alles nichts. Der oder die geghostete Person fühlt sich bestraft und kann nicht fragen: warum? Die Psychologie ist sich einig: Eine Person zu ignorieren bedeutet, dieser Person zu zeigen, dass man sie für wertlos hält, dass sie keine Rolle spielt. „Silent Treatment“ – toxisches Schweigen, kann den anderen in den Suizid treiben.
Nun muss die Kolumne aber endlich lustiger werden.
Nur wie?
Die beste Möglichkeit mit Ghosting umzugehen: das Ghosting ignorieren! Gewiss, dem Ghost aus dem off „fuck off“ zu sagen, ist verhältnismäßig schwierig. Aber hilft. Minus mal Minus ergibt Plus. Karl Valentin hat’s gesagt: „Des ignoriern ma net amoi!“
#pascalmorche
ÜBER DEN AUTOR
QUIET WORDS
ist die gar nicht so stille Betrachtung des ultimativ
Weiblichen, eine politisch unkorrekte Kolumne, deren Verfasser
die Frauen kennt, sie liebend gerne beobachtet und seine Gedanken hier
exklusiv niederschreibt.
Der bekannte Journalist Pascal Morché gilt als pointierter Autor, seine Kolumnen und Kommentare in führenden Tageszeitungen und Magazinen wie FAZ, SPIEGEL, die ZEIT und FOCUS zu Themen der Gesellschaft, Mode, Kunst und Kultur sind legendär. Seine "Lesungen der besonderen Art" haben Kultstatus. Seine Bücher "365 Tage Fashion" gelten als Bibel für Fashion Victims.
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