QUIET WORDS

Alltags-Betrachtungen von Pascal Morché

Größenwahn ist kein Zeichen von Größe

Kennen Sie den Dunning-Kruger-Effekt? Nein? Sollten Sie kennenlernen! Denn daran leiden viele. Dieser Effekt beschreibt das Phänomen, dass Menschen mit geringer Kompetenz gerne dazu neigen, ihre Fähigkeiten und somit sich selbst hemmungslos zu überschätzen: „Wenn nicht ich, wer sonst?“

Gartenzwerg 1© iStock

Was die Sozialpsychologen David Dunning und Justin Kruger erforschten, erleben wir täglich, wenn Wunderwuzzis (ich liebe die österreichische Sprache!) uns zeigen, wo es lang geht. Nämlich nach oben: The sky is the limit. Dass sich bei diesem Limit gleich zwei architektonische Schönheiten aufdrängen: Bruegels „Turmbau zu Babel“ und Benkos „Elbtower“... Eine geschätzte Kollegin Ihres Kolumnisten behauptete unlängst gar, „dass Exempel von schönem Größenwahn in einem Kleinstaat wie Österreich offensichtlich besser als anderswo gedeihen.“ Die Dame stellte klug die Ähnlichkeit so schillernder, gefallener Helden wie Benko, Kurz oder Marsalek her. Stimmt, es ist wohl diese speziell österreichische, ja gerade Wiener Melange aus barockem Popanz und der Genußfreude am hohen Unterhaltungswert der Wunderwuzzis.

Aber erstmal und über Österreich hinaus, die gute Nachricht: Größenwahn ist in der Regel männlich. Wahrscheinlich haben Frauen als Blitzableiter für Größenwahn den Schönheitswahn. Schon die böse Königin im Märchen fragte bekanntlich „Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?“ Sie fragte nicht: Wer ist die Größte?“ Außerdem ist der Schönheitswahn dem Größenwahn in jeder Weise vorzuziehen. Schönheitswahn hinterlässt keine Bauruinen in Städten, macht niemanden arbeitslos (im Gegenteil!), stürzt keinen in Armut und legt auch keine Länder in Schutt und Asche. Natürlich gibt es immer jemanden, der am Schaden verdient, den ein Größenwahnsinniger angerichtet hat: Die Dolmetscher dürften sich über den Turmbau zu Babel ebenso gefreut haben wie die Insolvenzverwalter am Signa-Crash.

Zum Größenwahn (gebildeter und schicker klingt es, wenn man altgriechisch „Hybris“ sagt); also zum Größenwahn gehört die Gier und die Hochstapelei. Größenwahn macht meist den Kleingeist aus, aber die Zeiten kommen diesem leider immer wieder sehr entgegen. Gerade heute gilt das Karl Kraus zugeschriebene Zitat „Wenn die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten.“ Und das Schlimme: Die Zwerge glauben selbst daran. Sie halten sich für Riesen. Denn, da hat der Dichter Dostojewski recht: „Die Einbildung eines Größenwahnsinnigen wird immer stärker sein als jede Wahrheit, die er erfahren könnte.“

Unsere Zeiten eignen sich perfekt zum Ausleben von Größenwahn. Sie fördern schließlich Narzissten aller Arten. Selbstverliebtheit, Hemmungslosigkeit, Bluff, Prahlerei und Eitelkeit sind zur Tugend erklärt, werden gepostet und geliked. Längst hat der Selbstdarsteller das unschöne Etikett des Angebers abgestreift; heute wird er für seine „Performance“ bewundert und macht damit Karriere. 

Wer zu Großem strebt und dabei noch klein gewachsen ist, wird ein Könner des Kompensierens. Muss ja nicht gleich der Napoleon-Komplex sein. Obschon der Zusammenhang zwischen kleinem Körperwuchs und großer Karriere in Politik und Wirtschaft sozialpsychologisch belegt ist. Glück haben wir, wenn Politiker sich „nur“ wie Fürsten und Herzöge im Feudalstaat benehmen; bei tyrannischen Machthabern wird’s nämlich richtig gefährlich. Die Wirtschaft regieren ohnehin viele egomane, empathielose, größenwahnsinnige Manager und nicht mehr der Unternehmenspatriarch mit sozialer Verantwortung. Der Größenwahnsinnige kreist um sein Ego und lebt dabei in seiner ganz persönlichen Verlogenheitsstruktur. Er glaubt an sich und nur an sich. So berauscht von sich selbst berauschen sich andere an ihm. Größenwahn ist eben nicht die Kinderkrankheit der Zwerge; Größenwahn ist lebenslänglich chronisch und leider hochinfektiös.  

#pascalmorche

ÜBER DEN AUTOR

QUIET WORDS ist die gar nicht so stille Betrachtung des ultimativ Weiblichen, eine politisch unkorrekte Kolumne, deren Verfasser die Frauen kennt, sie liebend gerne beobachtet und seine Gedanken hier exklusiv niederschreibt.

Der bekannte Journalist Pascal Morché gilt als pointierter Autor, seine Kolumnen und Kommentare in führenden Tageszeitungen und Magazinen wie FAZ, SPIEGEL, die ZEIT und FOCUS zu Themen der Gesellschaft, Mode, Kunst und Kultur sind legendär. Seine "Lesungen der besonderen Art" haben Kultstatus. Seine Bücher "365 Tage Fashion" gelten als Bibel für Fashion Victims. 
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