QUIET WORDS

Betrachtungen des ultimativ Weiblichen

Emanzipation à la carte

Wenn die Preise in der rechten Spalte der Speisekarte fehlen, dann ist das ein klares Zeichen von Freiheit und Selbstbestimmung.

Meiner Chefredakteurin fiel auf, dass es noch immer Damenkarten gibt. Sie wissen schon, dieses Relikt aus vergangenen Zeiten, als in gehobenen  Restaurants die Speisekarten für Damen noch keine Preise enthielten.

Damenkarten© iStock_dmbaker

Damals wurde Emanzipation noch nicht mittels Quoten-Chromosom durchgesetzt. Die politisch korrekte Sprachpolizei kam noch nicht mit Blaulicht wie heute. Sozialdarwinistisch hieß es bei Schiffsuntergängen und ähnlichen Rettungsaktionen: Frauen und Kinder zuerst. Ich durfte früher noch einer Frau in den Mantel helfen, ohne von der Dame des versuchten Grapschens bezichtigt zu werden. Ja, ich konnte einer Frau Komplimente machen, ohne Gefahr zu laufen, dass dies vielleicht als ein Akt übergriffigen Chauvinismus wahrgenommen würde. Doch zurück zur Damenkarte! Zurück zu jener Zeit, als Männer die Rechnung im Restaurant ganz selbstverständlich übernahmen, wenn sie mit einer Dame ausgingen.

Das gehobene Restaurant ist heute einer der letzten und wenigen Orte, an denen jene (guten!) Manieren noch zelebriert werden.  Hier lebt er noch, der Unterschied zwischen Mann und Frau, beziehungsweise zwischen dem Herrn und der Dame. Er hält ihr die Türe auf, hilft ihr aus dem Mantel, rückt ihr den Stuhl zurecht, er steht auf, wenn sie von der Toilette zurückkommt und ihm ist es denn auch eine Ehre, ihre Bestellung aufgeben zu dürfen. Eine Frau darf ja heute nur noch selten eine Dame sein. Im Nobelrestaurant darf sie es, ohne sich dafür vor erzfeministischen Geschlechtsgenossinnen rechtfertigen zu müssen.

Im Sterne-Hauben-Michelin-Gault-Millau Restaurant kann eine Frau unbefangenes Hofiert-werden als durchaus erholsam empfinden - und eben auch als ein emanzipatorisches Ereignis! Wie das? Weil es erholsam ist, wenn die Zahlen in der rechten Spalte der Speisekarte vornehm fehlen, denn das bedeutet immer freie Wahl und die Ausübung eines freien Willens! Wenn das keine Emanzipation ist: Befreit zu sein von Überlegungen und Vergleichen jener profanen Art, ob man die „Confierte Seeforelle an Sauce Gribiche mit Artischoken-Aioli“ zu 42 Euro oder die „Variation von der Entenleber mit lasierter Ananas-Créme und einem zarten Hauch von Banane“ zu 57 Euro wählen soll. Emanzipiertes Bestellen im Restaurant ist wohltuend befreitvon jenem inneren Monolog, dessen peinlichen Nachrechnens lächerlicher 15-Euro-Differenzen man sich doch schämen sollte. Mit einer Damenkarte hat eine Dame freie Wahl. Mehr Emanzipation, also Freiheit kann es für eine Frau nicht geben. 

Damenkarten in Restaurants und das Zelebrieren von Höflichkeit : In Österreich, jenem gelobten Land, das dem Hof und Höfischem eben noch nahe steht, sind Damenkarten deutlich verbreiteter als in Deutschland, wo ihr Kolumnist zuhause und der Niedergang von guten Manieren und Sitten zu beklagen ist. Ich würde es übrigens als Mann sehr schätzen, wenn man mir eine Damenkarte vorlegen würde – aber soweit ist die Emanzipation noch nicht fortgeschritten.

#pascalmorche

Pascal Morché

QUIET WORDS ist die gar nicht so stille Betrachtung des ultimativ Weiblichen, eine politisch unkorrekte Kolumne, deren Verfasser die Frauen kennt, sie liebend gerne beobachtet und seine Gedanken hier exklusiv niederschreibt.

Der bekannte Journalist Pascal Morché gilt als pointierter Autor, seine Kolumnen und Kommentare in führenden Tageszeitungen und Magazinen wie FAZ, SPIEGEL, die ZEIT und FOCUS zu Themen der Gesellschaft, Mode, Kunst und Kultur sind legendär. Seine "Lesungen der besonderen Art" haben Kultstatus. Seine Bücher "365 Tage Fashion" gelten als Bibel für Fashion Victims. 
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