QUIET WORDS

Betrachtungen des ultimativ Weiblichen

Tretet in die Pedale!

Fahrradfahren – eine Charakterfrage. 

Über das Fahrradfahren haben wir hier noch nicht berichtet. Nicht einmal unter Gesichtspunkten des Genderwahnsinns. Es scheint dabei zu bleiben, dass es Damenräder und Herrenräder gibt! Frauenräder? Männerräder? Transmannräder? Transfrauräder? Manche Worte setzen sich nicht durch. Gut so! Was herrlich ist, sollte herrlich bleiben und nicht dämlich werden. Ich übrigens fahre ein Damenrad. Der Einstieg sei hier leichter, meinte mein Fahrradhändler. Zuvor hatte er nach meinen Ansprüchen bezüglich urbaner Mobilität gefragt und mit seinem Blick meinen Körper und dessen Alter geprüft. Er verkaufte mir ein Stadtrad für wenige hundert Euro mit drei Gängen und einem Körbchen. Mit diesem Fahrrad komme ich wunderbar zum Supermarkt, in den Biergarten und in die Oper. Leider riskiere ich dabei stets mein Leben.

Fahrrad© Beauty.at

Zwar sagte mir eine beherzte Motorradfahrerin neulich, das letzte Mal als sie auf den Tacho ihrer Suzuki Bandit 1250 blickte, sei dort die Zahl 262 gestanden. Eine solche Aussage erotisiert mich, denn Thanatos und Eros scheinen mir nicht nur bei Tristan und Isolde , sondern auch bei einer Geschwindigkeit von 262 Stundenkilometern sehr nahe zu sein. Dennoch konnte ich über solche Grenzerfahrungen nur lachen: Leben am Limit? Das ist Fahrradfahren in München oder in Wien!

Fahrradfahrer halten sich per se für gute Menschen, weil sie deutlich weniger CO2 ausstoßen als ein Bentley Zwölfzylinder Continental GT. Und gute Menschen dürfen alles und auf dem Fahrrad sowieso. Auch mit dem Handy am Ohr, bei Rot über die Ampel, gegen die Einbahnstrassenrichtung fahren. Das ist noch das Mindeste! Frauen sind bei diesem Verhalten nicht weniger penetrant, arrogant und ignorant als Männer. Kaum war sich die Gynäkologie sicher, dass der weibliche Unterleib beim Strampeln im Sattel keinen Schaden nimmt, verkündete die US-amerikanische Frauenrechtlerin Susan B. Anthony: „Ich glaube, das Fahrradfahren hat mehr für die Emanzipation der Frauen getan als alles andere. Es gibt Frauen ein Gefühl der Freiheit und Selbstbestimmung.“ Nun, das finde ich auch, wenn ich auf einer Passtrasse eine verschwitzte Bikerin mit stählernen Waden und sehnigen Kniekehlen sehe. Wie sich das mit der Emanzipation im Sinne von Frau Anthony allerdings verhält, wenn Latte-Macchiato-Mütter mit dem staatlich geförderten Elektrolastenrad ihre Kinderlein zum Kindergarten radeln und dabei Termine für Pilates auf dem Handy klarmachen, bleibt mir ein Rätsel. Aber der emanzipierte Mensch ist, wie der gute Mensch eine höchst widersprüchliche Kreatur.

Leider ist der eine gute Mensch auch stets der Feind des anderen guten Menschen, denn es will der gute Mensch doch unter allen Umständen im Verhältnis zum anderen guten Menschen der bessere Mensch sein. Genau das erklärt, warum der Fahrradfahrer und nicht der Autofahrer der Feind des Fahrradfahrers ist.

Das Fahrradfahren zeigt alle Charaktereigenschaften eines Menschen deutlich. Besonders die schlechten. Warum gibt es so viele aggressive Fahrradfahrer? Je mehr Helm, desto mehr Aggression. Wer kennt sie nicht, jene, mit Isodrinks und High-Protein-Riegel selbstoptimierten Kampfradler! Ihre Fahrräder haben mindestens 64 Gänge und Lenkstangen von zwei Meter Breite. Und ein Schutzblech über dem Hinterrad haben sie nie. Dafür zeigt der Rücken jener Radler aber eine genau über ihrer Wirbelsäule verlaufende Linie aus angetrocknetem Schlamm. Ein Schutzblech wäre so uncool wie ein Glocke spießig.

Überhaupt scheinen Fahrradfahrer große Angst zu haben, irgendwie spießig zu sein. Ein knallharter Mountainbiker erklärte mir unlängst, das Spießigste seien doch diese Trekking-Räder. Mein mir bekannter Mountainbiker ist Lifestylist, also ein ganz besonders armer Mensch. Das Trekking-Rad, so der Pedal-Offroader, sei quasi das WoMo (Wohnmobil) unter den Fahrrädern. Ja, und warum? Das läge wahrscheinlich an den Satteltaschen, die ein Trekkingrad komplettieren und die oft von dessen sicherheitsbewussten Besitzern noch mit Rückstrahlern appliziert werden. Diese Satteltaschen bergen Frotteehandtuch, Jause und Thermoskanne. Sachen eben, die Mutti nicht vergisst für Vati einzupacken, bevor dieser in kurzen Hosen und kariertem Hemd im Sattel seines Trekkingrads und mit Freunden sportiven Ausflügen entgegenstrampelt. WoMo-Herrlichkeit eben, oder doch eher ein Zweirad-SUV? Denn das Trekkingrad ist ein ATB, ein (All Terrain Bike).

Auch Rennradfahrer (siehe oben: gute Menschen untereinander) empfinden für den Fahrer des Trekkingrads nur Verachtung . Auf schmalen Rädern, eingeschweißt in ein Outfit à la Lance Armstrong jagen Rennradfahrer und -Fahrerinnen in  hautengen Radlerhosen und mit rasierten Beinen über Landstraßen und Gehwege, durch Fußgängerzonen und Parks, als trainierten sie für die Tortur de France. In ihrer hautengen Radlerhose steckt ein Gelpolster, um den Gluteus Maximus zu befrieden; staksen Kleinkinder so breitbeinig dahin wie Rennradfahrer, die von ihrem Rennrad abgestiegen sind, wäre jetzt ein Windelwechsel empfehlenswert. Das mit der Beinrasur hat einen guten Grund, habe ich mir sagen lassen. Bei (un)vermeidlichen Stürzen sollen ja nicht auch noch Beinhaare in den Schürfwunden kleben und kräuseln.

Weil Fahrradfahrer sich von einander abgrenzen wie kaum eine andere Personengruppe (siehe erneut oben: gute Menschen untereinander), gibt’s für die E-Biker Hohn, Spott und Verachtung. Analog zum Nachlassen ihres Lebens-Akkus kauften sich vor gut zehn Jahren zumeist Rentner (österr. Pensionisten) E-Bikes mit Akku. Die Personengruppe ist inzwischen deutlich jünger geworden. Wellness statt Anstrengung, das haben gerade die Jüngeren begriffen!  „Faulheit ist Dummheit des Körpers, Dummheit ist Faulheit des Geistes“, sagte der Dichter und Wanderer Johann Gottfried Seume. Das Fahrrad mit (elektrischem) Hilfsmotor erobert Feld, Wald und Flur; und Straßen natürlich auch. Wer dabei keuchend in die Pedale tritt, bereichert mit der gespielten Anstrengung eine Welt voller Fakes um ein weiteres.

Die Diversität und Komplexität des Themas Fahrrad und die Typologie seiner Fahrer im 21. Jahrhundert sind kaum mehr überschaubar. Überhaupt war früher vielleicht nicht alles besser – aber das Fahrradfahren war zumindest deutlich einfacher: Immer die Radfahrer, ein Film von 1958 mit Heinz Erhardt, Wolf Albach-Retty und Hans- Joachim Kulenkampff zeigt: Fahrradfahren könnte schön sein.

#pascalmorche

ÜBER DEN AUTOR

Pascal Morché

QUIET WORDS ist die gar nicht so stille Betrachtung des ultimativ Weiblichen, eine politisch unkorrekte Kolumne, deren Verfasser die Frauen kennt, sie liebend gerne beobachtet und seine Gedanken hier exklusiv niederschreibt.

Der bekannte Journalist Pascal Morché gilt als pointierter Autor, seine Kolumnen und Kommentare in führenden Tageszeitungen und Magazinen wie FAZ, SPIEGEL, die ZEIT und FOCUS zu Themen der Gesellschaft, Mode, Kunst und Kultur sind legendär. Seine "Lesungen der besonderen Art" haben Kultstatus. Seine Bücher "365 Tage Fashion" gelten als Bibel für Fashion Victims. 
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