QUIET WORDS
Alltags-Betrachtungen von Pascal Morché
Trotzdem: trotzt dem!
Heute geht es um die Sache mit dem Apfelbäumchen und dass Sie diese Kolumne lesen.
Meine beauty.at-Chefin will wieder eine Kolumne von mir. Es soll ja da draußen Leserinnen geben, die Spaß an diesen kleinen Texten haben. Das freut mich. Aber ich mag nicht schreiben. Etwas Lustiges? Da denkt man über so viele Themen nach. Zum Beispiel: Warum tragen so viele Männer Glatze? Ja, sie rasieren sich freiwillig den Schädel. Aber, was denkt eine Frau, wenn nachts der Mond ins Schlafzimmer scheint und der barhäuptige Kopf ihres Mannes glänzt neben ihr im Mondschein.
Oder, ein anderes Thema: Eine Kolumne über Fasching zu schreiben, das habe ich „vom timing her“ verpasst. Da hätte ich dann ein wenig Konfetti-Kolorit im Text und wo Konfetti ist, da ist’s ja immer lustig. Außerdem wollte ich schon immer darüber schreiben, dass ich nicht verstehe, wie gerade Frauen sich oftmals frivol im Fasching anziehen und bei Minusgraden auf den Straßen „Dö Dö Bling Bling“ oder „Lei Lei“ brüllen. Und dass es dann sehr unsexy ist, wenn dann über dem wenigen Textil frierend der Anorak getragen wird. Prösterchen auf einen Prosetschko? Macht das Spaß?
Oder anderes Thema (das an die vorangegangene Kolumne „Onomatopoesie “) anschließt: Erikative in der Werbung ! Sie wissen nicht, was Erikative sind? Macht nichts. Also: Erika Fuchs übersetzte von 1951 bis 1988 alle Mickey-Maus-Hefte und kreierte die emotionalen Laute der Begeisterung, der Empörung oder des Ärgers. Zum Beispiel: „grrrrrrr“ oder „uffff“, „grummel“ oder „knuddel“; oder auch „schluck, würg, kotz“. Diese Laute klingen wie die Cartoon-Figur sich fühlt und werden Erikative genannt. Und weil die Werbung ja auch immer sprachloser wird, ist Frau Fuchsens Wow-Effekt hier nicht fern (was immer jemand bei dem Putzmittel „Cillit-Bang“ auch denken möge). Oder wie der Wiener inzwischen auch ziemlich fern von Hofmannsthal und Schnitzler sagt: „Na bumm!“
Ich habe aber so gar keine Lust lustig über Glatzen, Fasching oder Erikative zu schreiben. Es ist nicht die übliche Prokrastination (gebildet für Aufschieberitis) die mich lähmt und ohnmächtig macht. Es ist dieses Gefühl, entmündigt zu sein, dem gegenüber, was dort draußen in der Welt passiert. Erschöpft, wie wir alle nach zwei Jahren Corona sind, nun das: Eine Welt am Abgrund. Morgens surft und liest man durch die Nachrichten und abends sieht man die Sondersendungen. Und es ist nichts lustig an diesem Faschingsdienstag 2022. Nichts! 64 Kilometer lang ist der Konvoi der Panzer, der sich auf Kiew zu bewegt. Stellen Sie sich mal eine 64 Kilometer lange Schlange von Panzern vor. 64 Kilometer! Das ist die Strecke von Sankt Pölten nach Wien. Und diese Panzer kommen, um zu morden, um zu töten und für nichts anderes...
Kann man jetzt eine Kolumne schreiben?
Kann man jetzt Krapfen backen? Kann man sich über die (selbstverständlich hautfreundliche!) Wirkung von Hyaluronsäure Gedanken machen, oder welche Handcreme besser wirkt? Meine Antwort: Man muss! Das lenkt einen selbst (mich) und andere (Sie, liebe Leserin) ab. Es ist legitim, sich abzulenken von den Scheußlichkeiten und von dem, was kommt oder kommen könnte. Da gibt es diesen einen Satz, der Martin Luther zugesprochen wird. Ein Satz, indem sich trotz des Elends Hoffnung sammelt. Dieser Satz, der angesichts der Sinnlosigkeit dem Wahnsinn trotzt: „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“ Oder eine Kolumne schreiben. Oder einen Krapfen backen. Oder die Wirkung von Hyaluronsäure preisen...
#pascalmorche
ÜBER DEN AUTOR
QUIET WORDS
ist die gar nicht so stille Betrachtung des ultimativ
Weiblichen, eine politisch unkorrekte Kolumne, deren Verfasser
die Frauen kennt, sie liebend gerne beobachtet und seine Gedanken hier
exklusiv niederschreibt.
Der bekannte Journalist Pascal Morché gilt als pointierter Autor, seine Kolumnen und Kommentare in führenden Tageszeitungen und Magazinen wie FAZ, SPIEGEL, die ZEIT und FOCUS zu Themen der Gesellschaft, Mode, Kunst und Kultur sind legendär. Seine "Lesungen der besonderen Art" haben Kultstatus. Seine Bücher "365 Tage Fashion" gelten als Bibel für Fashion Victims.
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