QUIET WORDS
Betrachtungen des ultimativ Weiblichen
Scharfes Geschütz
„Der Worte sind genug gewechselt..." jetzt wird scharf geschossen. Wort oder Bild – wem glauben wir?
Früher war Influenza eine Krankheit, heute ist es ein Berufsbild. Sie wissen schon „Influencer“, das sind diese seltsamen Menschen, die sich selbst anbeten. Von ihrer großen Liebe zu sich selbst fällt dann auch ein kleiner Teil jenen Marken zu, mit der sie sich umgeben. Gerne fotografieren sie sich während ihres Gottesdiensts bzw. Götzendiensts selbst oder gegenseitig. Die Bildchen dieses narzistischen Tuns stellen sie dann ins Internet. Ihre Botschaft lautet: das bin ich und das ist meine Handtasche! Ergo sum (lat. also bin ich).
Von meiner Chefredakteurin lernte ich, dass es inzwischen hochprofessionelle Influencer gibt. Menschen, die ihren Lebensunterhalt damit bestreiten, sich beispielsweise mit Handtasche zu zeigen. Menschen, die dafür ganze Teams beschäftigen, die sie an der perfekten Location, im perfekten Licht, in der perfekten Umgebung ablichten. Nun gut: die meisten dieser Menschen arbeiten nicht derart professionell, sie lassen sich nicht auf den Malediven mit Handtasche fotografieren, sondern machen dann nur ein Selfie mit Handtasche. Die Quintessenz bleibt aber die selbe: Kommunikation „funktioniert“ über das Bild. Deshalb ist ja auch Instagram auf der Überholspur, denn Facebook verlangte dem eitlen Poster immer noch einen rudimentären, von Emojis unterstützen Wortschatz ab.
Frauen schätzen Bilder mehr als Worte. Mit Bildern sagen sie klar und deutlich was sie wollen und lieben. Und Männer schätzen Frauen, die ihr Begehr per Bild äußern, das ist weniger umständlich als Worte zu bemühen. Männer wünschen sich von Frauen nämlich eine klare Ansage. Die Kommunikation der Geschlechter unterscheidet sich hier (leider?) grundlegend. Männer kennen zum Beispiel das Wort „nein“; bei Frauen bin ich mir da nicht so sicher. Das Wort kommt ihnen seltsam schwer über die Lippen, obwohl schon Sophia Loren meinte, Fremdsprachen sind für eine Frau zu vernachlässigen, wenn sie denn nur in jeder Sprache „nein“ sagen könne. Statistisch benutzen Frauen pro Tag etwa 350 Wörter mehr als Männer. Beispiel: „Bringst du mir bitte ein Brot mit?“ fragt der Mann. Frauen basteln dieselbe Frage so zusammen: „Du gehst doch gleich aus dem Haus. Falls du vielleicht bei einem Bäcker vorbeikommst, kannst du mir dann bitte ein Brot mitbringen? Aber wirklich nur, wenn der Bäcker auf dem Weg liegt.“ Aufs Jahr gerechnet, macht das ein Plus von 127750 Wörtern und erklärt, dass Frauen knappe verbale Kommunikation nicht wirklich liegt.
Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte. Stimmt! Zwar macht es noch immer einen ziemlichen Unterschied zwischen dem, was ich auf einem Bild und was ich in einem Bild sehe. Aber solche Feinheiten der Kommunikation haben sich längst erübrigt. Abermilliarden Fotos existieren; täglich kommen hunderte von Millionen hinzu. Mir macht das Angst! Und ich bin nicht allein: Naturvölker (so sie keine Smartphones kennen) empfinden die Kamera als eine Waffe, die im Ruf steht, die Seele der Fotografierten zu rauben. Im Chinesischen bedeutet Fotografieren she yang : „Schatten nehmen“ und selbst die höfliche englische Umschreibung to take a picture zeigt, dass hier etwas genommen wird. Kinder in Nepal oder in Peru rufen einem Fotografen noch heute manchmal ein „Don’t steal my picture “ zu. Und selbst Marlene Dietrich sagte in Zeiten, da (verglichen mit heute) wenige Fotos gemacht wurden „Man hat mich zu Tode fotografiert“.
Unser heutiges Herumballern mit den Kameras unserer Smartphones hat nichts von seinem aggressiven Wesen verloren. Dass wir dem Menschen etwas nehmen, nämlich sein Recht auf Privatsphäre, dass Kinder (und Tote) sich nicht gegen das permanente Fotobombardement wehren können, das bedenken wir nicht. Wen kümmert’s, dass Worte, die mit dem Akt des Fotografierens zusammenhängen, allesamt aggressiv sind: Shooting heißt schließlich schießen ! Also, shooten wir, machen Schüsse und finden jemanden auf einem Foto gut getroffen .
Wir shooten uns buchstäblich zu Tode. Und so ist jedes Selfie nichts anderes, als das Ergebnis einer, auf sich selbst gerichteten Pistole nachdem wir abgedrückt haben. Selbsttötung ohne Tod. Nichts mehr ist sicher.
QUIET WORDS
ist die gar nicht so stille Betrachtung des ultimativ
Weiblichen, eine politisch unkorrekte Kolumne, deren Verfasser
die Frauen kennt, sie liebend gerne beobachtet und seine Gedanken hier
exklusiv niederschreibt.
Der bekannte Journalist Pascal Morché gilt als pointierter Autor, seine Kolumnen und Kommentare in führenden Tageszeitungen und Magazinen wie FAZ, SPIEGEL, die ZEIT und FOCUS zu Themen der Gesellschaft, Mode, Kunst und Kultur sind legendär. Seine "Lesungen der besonderen Art" haben Kultstatus. Seine Bücher "365 Tage Fashion" gelten als Bibel für Fashion Victims.
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