QUIET WORDS

Betrachtungen des ultimativ Weiblichen

Pascal Morché

QUIET WORDS ist die gar nicht so stille Betrachtung des ultimativ Weiblichen, eine politisch unkorrekte Kolumne, deren Verfasser die Frauen kennt, sie liebend gerne beobachtet und seine Gedanken hier exklusiv niederschreibt.

Der bekannte Journalist Pascal Morché gilt als pointierter Autor, seine Kolumnen und Kommentare in führenden Tageszeitungen und Magazinen wie FAZ, SPIEGEL, die ZEIT und FOCUS zu Themen der Gesellschaft, Mode, Kunst und Kultur sind legendär. Seine Bücher "365 Tage Fashion" gelten als Bibel für Fashion Victims.

Siezt Du noch oder duzen Sie schon?


Du oder Sie? Ganz klar: Das Du ist auf dem Vormarsch. Sich zu duzen ist im Internet selbstverständlich. Aber auch sonst bestimmt das Du immer mehr die Anrede von face to face und nicht nur von Facebook zu Facebook.

Istock© iStock Francesco Ridolfi

„Auf der A10 vor dem Tauerntunnel müsst Ihr mit einer Stunde Wartezeit rechnen“, tönt der Radiosender Ö3. Es soll frisch, fröhlich, frei; vor allem jung klingen. „A1 Richtung Wien, Abfahrt Amstetten-Ost, Ihr verliert dort zehn Minuten wegen eines Unfalls auf der rechten Fahrbahnseite. Fahrt vorsichtig.“ Ich empfinde solche Verkehrsdurchsagen als Unverschämtheit und frage mich: Muß ich mir soviel Nähe bieten lassen? Muß ich mich von einem ach so lockeren Radio-Boy duzen lassen? Ja, mir wird in dieser Welt viel zuviel geduzt. Plumpe  Vertraulichkeit all über all! Ich würde es vorziehen, wenn man sich auch im Swingerclub siezen würde. Das hätte Haltung, Witz, Erotik. Denn Erotik entsteht durch das Spiel mit Distanz. Wir sind beim Thema. Distanz ist perdu, also verloren!

Das vertrauliche, kumpelhafte Du, es hat längst Konjunktur, nicht nur im Autoradio. Mit der Werbung fing es an: Zuerst forderte ein Hersteller von Speiseeis „Nogger Dir einen!“; aus dem Radio tönte es bald „Hol Dir die neue...“. Inzwischen gibt es kaum einen Werbespot, der einen nicht duzt, wenn eine neue Flatrate, eine Singlebörse oder ein Fitness-Produkt angepriesen werden. Das schwedische Möbelhaus fragt: „Wohnst Du noch, oder lebst Du schon?“ und empfiehlt in seiner Textilabteilung „Wiege Dir deinen Stoff selber ab“. Die Partei der Grünen in Deutschland verblüffte im Wahlkampf mit einem „Du entscheidest“; das Forstamt mahnt mich duzend: „Auch Dein Hund wildert“. Alle diese Dus eint der  Wunsch ihrer Anwender:  per Du könnte man besser auf gleicher Augenhöhe kommunizieren, Hierarchien einreißen, Distanzen überwinden und die Unterschiede zwischen Mann und Frau, Jund und Alt  oder Chef und Mitarbeitern abschaffen. Also: Siezt Du noch, oder duzen Sie schon?

Es geht um Umgangsformen – und für die gibt es bekanntlich Regeln: Bei der Frage, wer nun wem das Du anbietet, gilt nach Stilbibel Knigge, dass immer der Ranghöhere dem Rangniedrigen und der Ältere dem Jüngeren das Du anbietet. Das gilt übrigens für beide Geschlechter. Zwischen Mann und Frau gilt noch zusätzlich: Die Frau bietet dem Mann das Du an, auch wenn sie jünger ist. Umgekehrt könnte man es schnell als plumpe Anmache missverstehen. Natürlich ist es unfein, ja peinlich ein Du zu erbitten oder eben die duzende Anrede rückgängig zu machen. Ein Du kann man ablehnen, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen. Und dann gibt es noch jenes temporäre, höchst gefährliche Du bei Weihnachtsfeiern, Sport oder Bergtour. Gefährlich? Ja, denn es gibt immer "the day after!" Und am Tag danach sollte man darauf achten „wie“ der Ranghöhere mit jenem leichtfertigen Du, das unterm Gipfelkreuz oder beim Engerl-Bengerl-Spiel galt, umgeht. Ob’s dabei bleibt, oder eben nicht.

Das flächendeckende, kumpelhafte Geduze kam in den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts unter linken Studenten in Mode. Für viele ist es (wie so ziemlich jede Form von schlechtem Benehmen)  bis heute ein Überbleibsel der 68er-Proteste gegen die siezende Herrschaftswelt geblieben. Nicht jeder konnte, trotz anschwellender Wertedebatte der vergangenen Jahrzehnte, von der Tatsache überzeugt werden, dass Vertrauen es gerade dort schwer hat, wo zu viel duzende Vertraulichkeit herrscht.

So wurde aus dem studentischen Wohngemeinschafts-Du zwischenzeitlich das TV-Moderatoren-Du. In  schwachmatischen Klatschsendungen duzt dann der Moderator seine C- und D-Promis und suggeriert dem verduzten Zuschauer: Wir sind alle eine große TV-Familie. Der Sportkommentator duzt im Interview die Sportler und in der ZIB duzt der Moderator seine Korrespondenten da draußen in der weiten Welt. Klingt ja alles so cool, so amerikanisch, so You.

Zwar bedeutet das englische „You“ durchaus kein Du, sondern ist ein Respekt forderndes, höfliches Sie . Dennoch beziehen sich heute viele international, global, cool und smart fühlende Duzer auf das englische You. Auch sprachlich findet in Unternehmen längst eine Amerikanisierung statt. Um Vertrauen zu signalisieren, sprechen oft Führungskräfte gerade Teams in der zweiten Person Plural an: „Wie macht Ihr das denn in Eurer Abteilung?“ Nicht immer hat diese Zwischenform von Sie und Du aber die erhoffte Wirkung; wie überhaupt ein zu schnelles Duzen gerade im Geschäftsleben ziemlich anbiedernd wirken kann. Arbeitspsychologen warnen vor der duzenden Anrede. Zwar könne man das Du als ein motivierendes Instrument der Führung nutzen - aber es falle eben auch sehr, sehr viel schwerer, jemanden hart zu kritisieren oder gar zu kündigen, wenn man ihn duzt. Das förmliche Sie schützt immer beide Seiten. Und ist dieses Sie erst einmal verloren, ist es eben stillos bis unmöglich, wieder zu ihm zurück zu kehren. Wer also glaubt, die Geschäftswelt sei die letzte Bastion in der sich die Frage „Du oder Sie?“ nicht stellt, der ist ziemlich naiv. Ja und obendrein gibt’s in der Piefkei zumindest noch regionale Unterschiede: das vornehme ‚Hamburger Sie’ („Wie geht es Ihnen, Jens?“) ist in seiner Umkehrung kein ‚Münchner Du’ („Du, Meier!“), sondern schlichtweg eine Unverschämtheit.

Das feine, subtile Spiel der Kommunikation , dass einem das Sie ermöglicht, weil es Abgrenzung schafft und innerhalb dieser Abgrenzung Freiheit schenkt - in der Netzwelt ist es längst verloren gegangen. Die inflationäre Kommunikation im Internet – von nicht selten scheinbar infantiler Sprachqualität (LOL, freu, kaputtlach) – öffnete inzwischen alle Schleusen schlechten Benehmens. Es riss jede Schranke von Respekt nieder und schüttelt alle traditionellen Regeln und Werte unseres verbalen Umgangs durch. Der Internet-Knigge, die Netiquette kennt keine festen Du- oder Sie- Regeln: User sind alle per Du! Es gilt hier und oftmals im Schutz der Anonymität: die Hemmschwelle unter Duzern ist niedriger als unter Siezern. Deutlich niedriger! Dass Kommunikation in sozialen Netzwerken mitunter zur Menschenverachtung mutiert, verwundert da nicht. Wer postend und twitternd per Du verbal eindrischt, beleidigt, schimpft, diffamiert und  bei ‚Shitstorms’ munter mitzündelt, der hat längst vergessen (oder nie gewusst), dass man per Sie viel beissender und viel bissiger sein kann. Der berühmte Satz des ehemaligen deutschen Aussenministers Joschka Fischer: „Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch“ hätte weder Wirkung noch Nachhaltigkeit gehabt, hätte Fischer ihn in ein plumpes Du gekleidet.

Das Siezen ist stets die elegantere, aber auch kompliziertere Konversation; es bietet viel mehr Zwischentöne, um gegenseitige Achtung wie auch Geringschätzung auszudrücken, es schenkt uns viel mehr verbale Facetten der Höflichkeit (und Unhöflichkeit) im Umgang mit einander. So einfach ist das – und so kompliziert. Da wir es heute aber so gerne auf  verknappte Vereinfachung anlegen, Plumpes für authentisch halten und Vertraulichkeit mit Vertrauen verwechseln, darum ist das Duzen weiter auf dem Vormarsch. Ob das gut ist? Wissen Sie es? #quietwordspascalmorche

Pascal Morché

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