QUIET WORDS
Alltags-Betrachtungen von Pascal Morché
SPERRMÜLL - SPERRENDER MÜLL?!
Die Straße als Mistplatz
Halten Sie Perikles bitte nicht für den Besitzer einer griechischen Taverne. Er war Staatsmann im antiken Athen, starb 429 Jahre bevor Christus geboren wurde und auch der Bau der Akropolis geht auf ihn zurück. Von Perikles stammt der Satz: „Im Umgang mit ihren Toten zeigt sich die Kultur eines Volkes.“
Ich glaube, die Kultur eines Volkes zeigt sich inzwischen vor allem im Umgang mit seinem Müll.
Also nicht im Umgang mit Toten, sondern mit toten Sachen, die aber auch „Wegkönnen“ - genau wie die Toten. Ich, Ihr Kolumnist, habe mich hier schon einmal zum Thema „Müll
“ geäußert; diesmal aber schreibe ich über das, was nicht in den Mistkübel passt: Sperrmüll. Zuvor habe ich mich erkundigt, dass Sperrmüll nicht nur in Deutschland (vulgo. Piefkei) Sperrmüll heißt, sondern auch in Österreich. Warum Sperrmüll allerdings Sperrmüll genannt wird, darüber kann man nur spekulieren. Meine Chefredakteurin (immer noch die beste!) vermutet, Sperrmüll habe seinen Namen daher, weil Sperrmüll alles versperrt: Straßen, Plätze, Gehwege, Hauseingänge, Garagenzufahrten! Richtig: In dieser Kolumne geht’s um die Vermüllung des öffentlichen Raums.
Der öffentliche Raum beginnt ja bereits vor der Wohnungstür. Schon hier offenbart sich die schmutzige Natur des sauberen Menschen und immer ist bei seinem Umgang mit Müll der Zeitfaktor entscheidend: Das Mistsackerl im Hausflur vor der Wohnungstür oder der leere Amazon-Versandkarton im Treppenhaus, das alles steht da leider meist länger als jene 10 Minuten‚ „bis man eh hinuntergeht und es mitnimmt“. Oder mitnehmen wollte. Doch nun wird’s richtig sperrig!
Ihr Kolumnist wohnt bekanntlich in München. Hier kann er etwas feststellen, was auch in Wien inzwischen zum üblichen Umgang mit Sperrmüll wurde: ausrangierte Möbel werden einfach auf die Straße gestellt. Auch in den sogenannt „besseren Gegenden“, in München-Schwabing wie in Wien-Hietzing. Ganze Couchgarnituren, Wohnwände, Bettgestelle landen auf der Straße und Matratzen sowieso. Manchmal findet sich auch ein ausgedientes Klo (mit oder ohne Deckel) auf dem Grünstreifen. Da sind die Schilder, die extra auf ein „Sackerl fürs Kackerl“ hinweisen der blanke Hohn. Das Restmobiliar, zumeist von XXXLutz-Ikea-Leiner-MöMax-Kika-Möbelix-etc (nirgendwo auf der Welt gibt’s mehr Möbelhäuser als in Österreich) bleibt auf der Straße sperrig liegen oder stehen: für Tage, für Wochen, für Monate. Die Verwesung eines Billy-Regals oder einer Ikea-Kommode namens „Kullen“ im Laufe der Zeit, wenn sich 40 Grad Hitze mit Starkregen abwechseln, ist (wie bei allen Toten) kein schöner Anblick.
Hier in München, vorm Haus des Kolumnisten steht ein „Kastl“ undefinierbarer Herkunft seit Monaten auf der Straße. Ein (mir bekannter Spaßvogel) schrieb nach gut acht Wochen mit dickem Filzstift die Frage „Straße = Müllplatz?“ auf die lackierte Presspan-Front. Drei Wochen später wurde sie mit einem noch dickeren, gesprayten „Ja“ beantwortet.
Aber wer stellt sein altes Graffel so demonstrativ in den öffentlichen Raum? Wer macht sich so gar keine Gedanken, ob sich andere Menschen daran stören könnten, dass die Straße zum Mistplatz verkommt? Wer ist so ein gedankenloser Selbstentsorger? Wer so vollkommen empathielos?
Die Antwort erschüttert: Die sich so mit ihrem Sperrmüll benehmen, sind meist wohlstandsverwahrloste Gutmenschen! Beziehungsweise es sind Menschen, die sich für Gutmenschen halten. Jene, die glauben, sie vollbringen wirklich eine gute Tat, wenn sie ihren abgelebten Hausrat vor der Haustür abladen: Kann doch vielleicht jemand gebrauchen! Machen wir doch jemandem eine Freude! Helfen wir doch armen Menschen, die sich ihr Ikea-Kastl nicht leisten können, während wir auf dem Minotti-Sofa unter der Artemide-Lampe sitzen und die Füße auf den Noguchi-Couchtisch legen. Ja, man glaubt ein großes Herz für Miststierer zu haben, wie in Wien jene genannt werden, die im Müll stöbern. Der Geist dieser, meist die Welt verbessernden, die Umwelt schützenden, in Bio-Supermärkten einkaufenden und Verbrennermotoren hassenden Gutmenschen ist eine moderne Variation der Marie Antoinette-Arroganz: „Wenn das Volk kein Brot hat, dann soll es doch Kuchen essen!“ Eben: Warum hungern sie in der Sahelzone und speisen nicht Austern; wäre doch erfrischend bei der Hitze?
Bevor Ihr Kolumnist immer zynischer wird, es gibt (auch) Positives im Umgang der Mitmenschen mit ihren „Verlassenschaften“ (ich liebe österreichisch) zu vermelden. Hier in München-Schwabing stellen manche manchmal Kartons mit Büchern oder DVDs vor die Tür. „Zu verschenken“. Und in den Kartons finden sich nicht immer „Die Wanderhure“ oder „Fifty shades of Grey“, sondern häufig bibliophile Trouvaillen wie Prousts „Suche nach der verlorenen Zeit“, 13 Bände, Suhrkamp Verlag 1964. Es darf halt nicht regnen! Aber lange Zeit sind diese Kartons ohnehin nicht gefüllt, ein paar Bibliomane streifen um die Häuser, wissend, dass deren Bewohner keine Bücher lesen und statt DVDs längst Netflix streamen.
Also was tun, statt mit Sperrmüll den öffentlichen Raum zu versperren? Zum Mistplatz fahren! Als ihr Kolumnist noch zeitweise in Wien lebte, lernte er auch den Mistplatz Auhof kennen. Großartiges Gelände mit freundlichen Müllwerkern („Mistküblern“) und selbstbewussten Miststierern! Wien tut was: Alljährlich findet die „48er-Mistmeisterschaft“ in Volksschulen statt, um die Kleinen im Umgang mit Müll zu schulen. Und außerdem gilt in Wien: „Die Abgabe von ausgedienten Elektrogeräten an so genannte „Kleinmaschinenbrigaden“ ist ungesetzlich.“ Nach Beendigung meines Minnedienstes in der Donaumetropole werde ich nun nie mehr erfahren, was „Kleinmaschinenbrigaden“ sind. Ist das nicht ein Jammer!?
Kultivierter Umgang mit Müll ist dem Deutschen fremd
. Wie war das mit Perikles? Die Kultur eines Volkes erkenne man im Umgang mit seinen Toten. Die Kultur des österreichischen Volkes ist im Umgang mit seinen Toten (Zentralfriedhof) und mit seinem Müll (Mistplatz Auhof) deutlich höher anzusiedeln als die des deutschen. Sperrmüll möge auf Hietzinger und Döblinger Gehwegen die Ausnahme bleiben, während er in München (oder gar in Berlin!) längst die Regel ist.
#pascalmorche
ÜBER DEN AUTOR
QUIET WORDS
ist die gar nicht so stille Betrachtung des ultimativ
Weiblichen, eine politisch unkorrekte Kolumne, deren Verfasser
die Frauen kennt, sie liebend gerne beobachtet und seine Gedanken hier
exklusiv niederschreibt.
Der bekannte Journalist Pascal Morché gilt als pointierter Autor, seine Kolumnen und Kommentare in führenden Tageszeitungen und Magazinen wie FAZ, SPIEGEL, die ZEIT und FOCUS zu Themen der Gesellschaft, Mode, Kunst und Kultur sind legendär. Seine "Lesungen der besonderen Art" haben Kultstatus. Seine Bücher "365 Tage Fashion" gelten als Bibel für Fashion Victims.
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