QUIET WORDS
Betrachtungen des ultimativ Weiblichen
No Shorts in the city
Ein Schönwetterthema, das in die Hose geht: Kurzbehoste Männer! Unser Kolumnist empört sich über männliche Beinfreiheit.
Es ist Frühling, es wird wärmer und das macht die Welt nicht unbedingt schöner. Ja, ja, ich kenne auch Goethe, Osterspaziergang: „Vom Eise befreit sind Strom und Bäche“... für Männer aber heißt es „vom Eise befreit sind Chrom und Bleche“, also: Winterreifen runter und her mit den Shorts! Es ist leider so: kaum steigen die Temperaturen höher, werden die Hosen der Männer sofort kürzer. Ganz kurz, ganz Shorts. Ab 15 Grad plus schieben sich Männer wieder kurzbehost durch die Fußgängerzonen und zeigen ihre Beine! Und was für Beine: Spindeldürre, haarige, käseweiße, teigige Beine. Extremitäten, die aussehen, als seien sie das Resultat der Paarung eines Bandwurms mit einem Engerling. Männer sind im Beinzeigen nämlich hemmungslos – ihr ästhetischer und dennoch heterosexueller Kolumnist schämt sich für sein Geschlecht und dessen aufdringliche Sehnsucht, kurzbehost herumzulaufen. Bäh! Pfui! Igitt!
Es sind Bürobeine, Handwerkerbeine, Marketingexpertenbeine, die ins Auge stechen. Es sind nicht die muskulösen Fußballerbeine vom Schlage eines Matz Hummels oder eines Jérôme Boateng. Es sind Beine so dünn und dürr, so staksig und fragil, dass sie jeden Flamingo und jeden Giacometti dagegen wohlgenährt aussehen lassen. Und wenn dann so ein Unternehmensberater mit seinen rosa Shorts und Timberlands durch die Großstadtstraßen stelzt, so ist er trotz seines lässig um die Schulter gebundenen, dunkelblauen Kaschmirpullovers ebenso peinlich wie all die anderen kurzbehosten Männer auch. Da kann er es mit seiner Beratertätigkeit schon zu einem BMW-Cabrio gebracht haben und sich mit reduziertem Beinkleid in jeder Fußgängerzone auf der Promenade de la Croisette von Cannes glauben - das Muskelfleisch seiner Beine hat nicht selten die Konsistenz von Topfengolatschen. Damit sind und bleiben sie eine Beleidigung für jeden kultiviert, zivilisiert und also langbehost gekleideten Mitmenschen. Nein und nochmals nein: bleiche, teigige, behaarte Männerbeine sind nicht schön. Unter keinen Umständen, aus keiner denkbaren Perspektive, in keiner noch so idyllischen Gegend. Gibt es gegen diesen ästhetischen Schrecken halbnackter Männer im Stadtbild gar keinen Schutz, keine rechtliche Handhabe? Sollte für solche Fälle nicht eigentlich die Menschenrechtskommission der UNO zuständig sein? Eine Ästhetikpolizei, die Männern ihre kurzen Hosen abnimmt, müßte unbedingt gegründet werden. Eine schnelle, gnadenlose Eingreiftruppe, die dafür sorgt, dass uns dieser obszöne Anblick erspart bleibt.
Männerbeine sind im Gegensatz zu Frauenbeinen zu 98 Prozent hässlich. Warum? Ganz einfach: Weil hässliche Frauenbeine immer noch Frauenbeine sind. Da verzeiht man sogar Krampfadern oder dicke Waden. Für entblößte Männerbeine aber gibt es kein Pardon. Frauen, sagt Euren Männern, dass sie außerhalb Eurer vier Wände und jenseits des Würstlgrills keine frivolen Beinkleider tragen sollen. Sagt ihnen, dass keine noch so große Affenhitze es entschuldigt, solche Gräuel öffentlich zu enthüllen. Die Käsebeine, sie mögen zur Strafe von der Sonne angesengt werden! Und noch eines: Auch hautenge Radlerhosen sind innerstädtisch widerlich anzusehen. Man sollte nicht dem Irrglauben verfallen, sportlich zu sein, bloss weil man zu Radlerhosen die Beine rasiert und eine Geleinlage zwischen Anus und Skrotum Impotenz und Schlimmeres verhindern soll.
Urlaub heißt übrigens grundsätzlich für Männer: Kurze Hosen. Dumm nur, dass man in dem Outfit nicht unbedingt in alle Kirchen hineinkommt, die die Ehefrau sooooo gerne besichtigen möchte. In Rom war es: Dem Besucherstrom der Peterskirche waren Wachleute entgegengestellt, um Attentäter, Strolche und eben Shortsträger auszusortieren. „No shorts!“, hiess es da streng, worauf ein Gruppe deutscher, kurzbehoster Männer „No shots“, verstand und sofort bereitwillig ihre Kameras abgeben wollte. Nachdem sich dieser phonetische Irrtum geklärt hatte, erspähten ein paar der Shortsträger den einen oder anderen Langbehosten in ihrer Reisegruppe und erblödeten sich nicht, sodann vor der Peterskirche mit ihnen die Hosen für die Besichtigungstour zu tauschen. Gott sei ihnen gnädig. Ich bin es nicht.
Pascal Morché
QUIET WORDS
ist die gar nicht so stille Betrachtung des ultimativ
Weiblichen, eine politisch unkorrekte Kolumne, deren Verfasser
die Frauen kennt, sie liebend gerne beobachtet und seine Gedanken hier
exklusiv niederschreibt.
Der bekannte Journalist Pascal Morché gilt als pointierter Autor, seine Kolumnen und Kommentare in führenden Tageszeitungen und Magazinen wie FAZ, SPIEGEL, die ZEIT und FOCUS zu Themen der Gesellschaft, Mode, Kunst und Kultur sind legendär. Seine "Lesungen der besonderen Art" haben Kultstatus. Seine Bücher "365 Tage Fashion" gelten als Bibel für Fashion Victims.
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