QUIET WORDS

Betrachtungen des ultimativ Weiblichen

„MOVEMBER“

Machen Sie sich keine Sorgen, wenn sich Ihr Mann im November einen Schnauzbart wachsen lässt. Er tut’s für den guten Zweck.

Wissen Sie, was ein „Kofferwort“ ist? Ich wusste es nicht. Aber jetzt: Ein Kofferwort ist eine Wortmischung aus zwei sich überlappenden Wörtern. Also: Motor und Hotel ergibt „Motel“. Aus Bombay und Hollywood kreierte man „Bollywood“, aus breakfast und lunch wurde „brunch“. Und wer schick und hip ist und viel Englisch mit Deutsch mischt, spricht „denglisch“. Ich erspare mir (und Ihnen) die Frage, ob es auch Vollkofferworte gibt - oder Worte für Vollkoffer! Mich machte meine allerliebste Beauty.at-Chefredakteurin auf ein Kofferwort aufmerksam, das ich nicht kannte: „Movember“.

Movember Emoji

Seit 2003 geistert das Wort „Movember“ durch die Welt. Damals wurde es von einer Gruppe junger Männer im australischen Adelaide erfunden. Ihr Ziel: Die Aufmerksamkeit auf die Gesundheit von Männern lenken und Spenden einsammeln. Da Männer (und auch Frauen) gerne vergessen, dass Vorsorgeuntersuchungen sehr wichtig sind, muss man sie daran erinnern. Um der Erinnerung auf die Sprünge zu helfen gibt’s vieles: Den berühmten Knoten im Taschentuch zum Beispiel. (Bei Tempotaschentüchern ein absurdes Unterfangen). Eine Erinnerungsstütze kann auch etwas absichtlich Platziertes in der Wohnung sein; und wenn die Erinnerungslücken alzheimersche Dimensionen annehmen, hat man Wände schon mit gelben Post-it Zetteln tapeziert.

Die Gesundheit des Mannes ist vornehmlich von Prostata- und Hodenkrebs bedroht! Zur Erinnerung an eine Vorsorgeuntersuchung hatten sich die „Movember“-Gründer auf ihrer Website was ganz Tolles für erfolgreiches fundraising ausgedacht: Alle Männer sollten sich am 1. November glattrasiert auf einer Website registrieren, spenden und bis Ende des Monats einen Schnurrbart (moustache) wachsen lassen. Also: MOustache und NoVEMBER ergibt das Kofferwort Movember. Compris? Okay, die Idee hätte auch im Juli oder August sein können. Es gäbe jetzt einen Mouli oder Mougust. Aber im Sommer wärmt ein Bart halt gar arg – und der Weihnachtsmann trägt seinen ja auch in der kalten Jahreszeit. Der Bart des Mannes: 30 Tage Solidaritätszeichen und Erinnerungsstütze. (Ähnlich dem etwas eleganteren Pink Ribbon der weiblichen Brustkrebs-Vorsorge).

Männliche Ängste dienen hier als subtile Motoren der Aktion. Denn jeder Mensch hat Angst. Und kann sich jeden Tag aussuchen, wovor er sich ängstigen will. Auch meine Psychiaterin (ich lasse doch keinen Mann an meine schöne Seele) hat eine große Auswahl an Ängsten für ihre jeweiligen Diagnosen. Da gibt es Flugangst, Höhenangst, Angst vor dem Aufenthalt in geschlossenen Räumen (Klaustrophobie), Platzangst (Agoraphobie), Angst vor Männern (Androphobie), Angst vor Frauen (Gynophobie), Angst vor Hunden (Kynophobie), Angst vor der Arbeit (Ergophobie), Angst vor der Zahl vier (Tetraphobie), Angst vor sich selbst (Autophobie), Angst vor alten Menschen (Gerontophobie), Angst vor Licht (Photophobie), Angst vor der Angst (Phobophobie). Natürlich hat ein Mann auch Angst vor Prostata- und Hodenkrebs. Vor Krankheit ist schließlich niemand geschützt, und wenigstens einem Minimum an Vorsorgeuntersuchungen sollte der Mensch (auch wenn er ein Mann ist) mit einer gewissen Regelmäßigkeit nachkommen. Daran erinnert ihn nun „Movember“ mit Bartwuchs im November.

Die „Movember“-Bewegung ging ab wie Schmidts Katze bei einer großen Whiskas-Sheba-Felix-Degustation . Fünf Jahre nach ihrer Gründung, 2008, nahmen an der Spendensammelaktion im Netz zugunsten der Erforschung und Vorbeugung gegen Prostatakrebs bereits 170.000 Männer teil. Sie ließen sich die Bärte wachsen und sammelten 15 Mio australische Dollar. Heute ist „Movember“ als weltweit agierende Stiftung organisiert. Sie sammelt fleißig Spenden und leitet diese an Forschungseinrichtungen weiter. Ende November gibt’s natürlich eine große Charity-Gala. Hier wird dann der schönste 30-Tagesbart gekürt. L’Oreal unterstützt in Österreich die mit Stolz getragenen Schnurrbärte.

Nur liegen Stolz und Schmach beim männlichen Bartwuchs nahe beieinander. So wird ein Schnauzbart in seiner frühen Wachstumsphase als eher unansehnlich empfunden. Doch, ganz tricky, kommt gerade das dem guten Zweck entgegen: Wenn ein Mann auf seinen schütteren Bart angesprochen wird, so kann er auf seine Teilnahme an „Movember“ verweisen und digital im Internet weitere Spenden generieren. Der Bart wächst, die Spendensummen auch.

Übrigens: Ihr Kolumnist bleibt glatt rasiert und hat für kommende Woche einen Termin beim Urologen vereinbart!  

#pascalmorche

Pascal Morché

QUIET WORDS ist die gar nicht so stille Betrachtung des ultimativ Weiblichen, eine politisch unkorrekte Kolumne, deren Verfasser die Frauen kennt, sie liebend gerne beobachtet und seine Gedanken hier exklusiv niederschreibt.

Der bekannte Journalist Pascal Morché gilt als pointierter Autor, seine Kolumnen und Kommentare in führenden Tageszeitungen und Magazinen wie FAZ, SPIEGEL, die ZEIT und FOCUS zu Themen der Gesellschaft, Mode, Kunst und Kultur sind legendär. Seine "Lesungen der besonderen Art" haben Kultstatus. Seine Bücher "365 Tage Fashion" gelten als Bibel für Fashion Victims. 
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