QUIET WORDS
Betrachtungen des ultimativ Weiblichen
QUIET WORDS
ist die gar nicht so stille Betrachtung des ultimativ Weiblichen, eine politisch unkorrekte Kolumne, deren Verfasser die Frauen kennt, sie liebend gerne beobachtet und seine Gedanken hier exklusiv niederschreibt.
Der bekannte Journalist Pascal Morché gilt als pointierter Autor, seine Kolumnen und Kommentare in führenden Tageszeitungen und Magazinen wie FAZ, SPIEGEL, die ZEIT und FOCUS zu Themen der Gesellschaft, Mode, Kunst und Kultur sind legendär. Seine Bücher "365 Tage Fashion" gelten als Bibel für Fashion Victims.
„Lippenstift“
Fruchtbare Frauen sind einer Studie der University of California, Los Angeles zufolge an ihrer modernen Kleidung, an einem Mehr an Schmuck und am kräftigen Gebrauch ihres Lippenstifts zu erkennen. Die Studienleiterin der Universität, Martie G. Haselton, stellte neben dem nun endlich wissenschaftlich fundierten „lipstick effect“ außerdem fest: „Fruchtbare Frauen ziehen einen Rock anstelle von Hosen an, zeigen mehr Haut und kleiden sich eleganter“. Nun denn!
Ihr Beauty.at-Kolumnist greift zum Labello-Stift
, schürzt die Lippen und will Miss Haseltons Studie nicht unkommentiert lassen. „Loud Lips“, verspricht schließlich Chanel und recht populär erklärt der Verhaltensforscher Desmond Morris: „Weibliche Lippen ahmen optisch die Schamlippen nach.“ Okay: Oben gibt’s waagerecht, was es einen halben Meter tiefer senkrecht gibt. Deshalb, so Morris „wird jeder Mensch mit Lippen, die eine dunklere Färbung haben, automatisch stärkere sexuelle Signale ausstrahlen“.
Gut durchblutet! Leicht gerötet! Knallrot! Colour me loud! Wir sind beim Lippenstift. Und weil Symbolik meist eine einzige Schweinerei ist, gilt für einen Mann wie mich: Ein verschmierter Lippenstift ist so schön anzusehen wie eine Laufmasche. Ich sehe darin immer Kampfspuren der Liebe! Und ich bewundere, dass Frauen ihre Lippen sogar blind schminken können. Manchmal schummeln sie zwar und greifen, in Ermangelung eines Kosmetikspiegels bei Tisch zum Messer, um sich in dessen blankpolierter Schneide zu spiegeln. Manchmal bleibt auch Lippenstift an einem ihrer Schneidezähne hängen. Auch irgendwie verdammt sexy.
Ich lebe in der falschen Zeit. Vor 6000 Jahren waren Schönheitssalons und Parfümfabriken im alten Ägypten eine noch sicherere Einnahmequelle als heutzutage; und die Kunst des Make-ups war hochentwickelt und allgemein verbreitet. Damals war die bevorzugte Lidschattenfarbe Grün und ihre Lippen malten Frauen sich blauschwarz anm was man heute bedauerlicher Weise nur noch in modebewussten Satanistenkreisen sieht. Ach herrlich: In jenen ägyptischen Tagen verhüllten die Frauen ihren Busen nicht, sondern zeichneten sogar die Venen auf ihren Brüsten blau nach und färbten die Brustwarzen golden. Aber zurück zum Mund.
Als Mann bin ich froh über das kosmetische Waffenarsenal einer Frau. Besonders die Rotstifte haben es mir angetan. Immer wieder ein Erlebnis: Dieses Erigieren eines Lippenstifts, der einer Pershingrakete gleich und einem Hundepenis ähnlich, sich drehend aus seinem Schaft herausschraubt, um schließlich an die Lippen eines Frauenmundes geführt zu werden. Dieses kleine Wunderwerk, in dem soviel männlich verspielte Technikliebe steckt: 1910: Metallhülse, 1923: Drehtechnik, 1935: Schiebemechanismus. Nein, so will ich doch nicht mit der Zeit hadern in der ich lebe.
Guerlain, Chanel, Dior, Rubinstein, Lancôme, Lauder und wie all die Rotstifthersteller heißen mögen: Die Kultur eines Landes bemisst sich (auch) darin, dass eine Frau sich schminkt – und wie sie das tut. „Die Bemalung der Lippen und des übrigen Gesichts ist nur bei Personen zulässig, die auf der Bühne stehen. Es steht wohl außer Frage, dass es niemals wieder eine Zeit geben wird, in der die Frauen Rouge auflegen und ihre Lippen schminken.“ Das war 1880 in einer Modezeitschrift zu lesen.
Aber was in Modezeitschriften steht, wurde schon immer sehr schnell Makulatur. Drei Jahre später, 1883 hatte der Parfumeur und Chemiker Guerlain die Idee, die bis dahin benutzte Pomade im Tiegelchen mit Bienenwachs, Hirschtalg und Rizinusöl anzureichern und zu einem Stift zu formen. „Stylo d’amour“ oder respektlos „saucisse“ (Würstchen) wurde dieser Ur-Lippenstift genannt, denn er besaß noch keine Hülse, sondern war in Seidenpapier gewickelt. Auf der Weltausstellung in Amsterdam wurde er 1883 der staunenden Menschheit vorgestellt, die nicht ahnte, dass dieser Stylo d’amour einmal das meist verkaufte Beauty-Produkt der Welt werden würde.
Auf Gloss und Glamour, auf Ehre und Gewissen : Wie schön ist es doch, dass es heute so viele Frauen mit signalroten Mündern gibt. Also, greift zum Rotstift! Zeigt euch fruchtbar! Und das auch gerne weit über die Menopause hinaus. Ich liebe nämlich die Vorspiegelung falscher Tatsachen. #quietwordspascalmorche
Pascal Morché