QUIET WORDS

Betrachtungen des ultimativ Weiblichen

Pascal Morché

QUIET WORDS ist die gar nicht so stille Betrachtung des ultimativ Weiblichen, eine politisch unkorrekte Kolumne, deren Verfasser die Frauen kennt, sie liebend gerne beobachtet und seine Gedanken hier exklusiv niederschreibt.

Der bekannte Journalist Pascal Morché gilt als pointierter Autor, seine Kolumnen und Kommentare in führenden Tageszeitungen und Magazinen wie FAZ, SPIEGEL, die ZEIT und FOCUS zu Themen der Gesellschaft, Mode, Kunst und Kultur sind legendär. Seine Bücher "365 Tage Fashion" gelten als Bibel für Fashion Victims.

Auf der Suche nach der femme digitale

Online zur großen Liebe. Ein Digital-Versuch Ihres Kolumnisten

Der grüne Punkt leuchtet! „Sushi73“ ist online. Sie ist mir schon längst aufgefallen. Habe sie zu meinen „Favoriten“ geklickt. „Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum“ ist ihr Motto. Ihr Alter gibt sie mit 37 Jahren an. Figur: Normal. Beruf: Medizinische Dienste. Ihr Foto gefällt mir. Da bin ich hängengeblieben aus Sehnsucht und digitaler Gier.

Online Dating© iStock_Spectral Design

Tagelang haben meine Augen Fotos von Frauen gescannt, die meinem Beuteschema entsprechen: Dunkelhaarig, sportlich, intelligent, charmant, eloquent. Frauen mit selbstbewußtem Blick, die mit Hilti, Honda und Steinwayflügel umgehen könnten. Ich habe dafür ihre Bilder durchgerastert. Viele Urlaubsfotos waren darunter. Häufig im Billigflieger geschossen. Auch Sushi73 greift gerade glücklich ins Handgepäckfach über ihrem Sitz. Als optischen Köder hat sie dieses Lächeln auf- und eine EdHardy-Lederjacke angelegt. Sushi73 sucht einen Mann für „eine feste Partnerschaft. Eine Freundschaft. Einen Flirt. Ein Abenteuer.“ Also für alles. Ich mache mich ran. Doch der Reihe nach.

Ich bin ein Aussenseiter. Ich liebe das Analoge und schätze die reale Welt. Frauen habe ich bisher in Bars, in Cafés, auf der Strasse, am Arbeitsplatz (Kantine!) kennengelernt. Ich bin mehr für face to face statt für facebook to facebook. Kann ja am Alter liegen: Ende fünfzig. Oldie but Goldie. Ein Freund sagte, willst du Frauen treffen, so mach das am besten im Internet. 2700 (!) Singlebörsen zählt eine Studie allein im deutschsprachigen Raum. Drei davon haben mich als Kunden gewonnen: Finya, Elite Partner und der Klassiker: Parship. Bei Joyclub der „Community für stilvolle Erotik“ wurde ich auch noch Mitglied. „Einsamer sucht Einsame zum Einsamen“. Na, geh bitte! Bleiben wir auf seriösen Portalen.

Ich habe mein Foto hochgeladen und in mein Profil geschrieben, dass ich „was mit Medien“ mache und dass ich ganz großartig bin. Das tun nämlich alle. Alle wollen in die Oper und ins Theater. Alle wollen Museumsbesuche und lieben „einen Sonntag auf dem Sofa mit einem guten Buch“. Auch Sushi73. Doch die große Bildungssehnsucht scheint meist nicht mehr als eine Profilzierleiste zu sein. Beim Surfen im Netz der einsamen Herzen habe ich mich oft gefragt, warum die versendeten Botschaften meist von erbarmungswürdiger Sprachqualität sind. Eine Welt aus Lol und Lall, bei der viele Kontaktaufnahmen mit „dickem Knutscher“ oder SBZ enden. SBZ heisst für mich immer noch Sowjetisch Besetzte Zone; aber für das Singlebörsengebrabbel sollte ich wissen, dass SBZ „Schreib bitte zurück“ heisst.

Finya kostet nichts, hat fast eine Million suchende Singles und seine Basis eindeutig im Norden Deutschlands, denn die meisten Profile stammen von dort. Irgendwann resigniert man da als Münchner und hat das Gefühl, dass die tollsten Frauen in Hamburg, Kiel oder Hannover leben. Also doch besser zu ElitePartner, der „TÜV-geprüften Partnervermittlung“ für „Akademiker und Singles mit Niveau“. Hier heisst es: „Liebe ist kein Zufall“; es werden einem „handgeprüfte Mitgliederprofile“ sowie „Kontaktgarantie“ versprochen und das bei zwei Millionen Mitgliedern. Wo „Singles mit Niveau“ draufsteht, da muss auch Niveau drinnen sein. Und schon trete ich durch solche Portale in eine andere Welt: „Anfang 30, Summa-cum-laude-Promotion in den Fächern Kunstgeschichte, Atomphysik und Politologie an der Sorbonne und in Harvard, mehrjährige Auslandsaufenthalte (UNO, Bank of China, Louvre), 200 Tausend Euro Jahreseinkommen. Topfigur, sucht entsprechendes, männliches Pendant mit Promotion oder Habilitation“. Ja! Genau solche Sex-and-the-City-Frauen sitzen in ihren 200-Quadratmeter-Lofts, lesen Michel Houellebecq und VOGUE und suchen eine „feste Beziehung ohne Besitzdenken“.

Euch kann ich nur zurufen: Ich bin’s! Ich bin der, den ihr sucht! Ich bin der feste freie scheinselbstständige Lover, den euch eure Emanzipation auf die LeCourbusier-Liege gespült hat. „Diotima“ (aha Hölderlin!) gibt als persönliches Statement an: „Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten“. Super! Solch eine Frau scheint akademisch gefeit gegen jene Vielzahl von Männer, die auf ElitePartner-Satzkomplettierung „Das Besondere an mir ist...“ schreiben: „dass an mir nichts Besonderes ist“; oder „das ich ein tolleranter und niwofoller typ bin“. Nun, vielleicht hilft das Internet, traditionelle Beziehungsbarrieren aufzuweichen. Vielleicht steht dank virtueller Partnerbörsen eine Revolution auf dem Beziehungsmarkt bevor: „Atomphysikerin heiratet Automechaniker“. So wächst im Netz zusammen, was sich im Leben nie begegnen würde.

Ich jedenfalls habe Sushi73 getroffen. Beide hatten wir Matura als Gradmesser geistigen backgrounds angegeben, daran also konnte es nicht liegen, dass die Begegnung desaströs endete. Es kam so: Ich hatte Sushi73 geschrieben. Und: sie hatte geantwortet! Als dann wieder einmal der grüne Punkt leuchtete und sie online war, schlug ich ihr im chat vor zu telefonieren. Ich wollte nicht ihre Telefonnummer, sondern gab ihr meine. So konnte sie sich sicher fühlen, einem eventuellen späteren Stalker oder Telefonwichser zu entgehen, so konnte sie frei und unverbindlich mit mir Kontakt aufnehmen. Sie rief an. Das Gespräch dauerte eine knappe Stunde, in der aus Sushi73 die Birgit wurde und außer ihrem breiten Dialekt störte mich nichts an ihr.

Zu meiner Überraschung schlug sie als Ort des ersten Treffens kein Café oder Restaurant vor, sondern meinte, ich solle sie besuchen. „Geh, bringst ahn Prosätchko mit!“ Ich fand das einigermaßen wahnsinnig. Sushi-Birgit musste ein Urvertrauen haben, dass sie sich keine Neuauflage von Jack the Ripper in die Wohnung holt. So fuhr ich also in einen Vorort meiner Stadt, drückte zweimal den Klingelknopf unter dem Namen „Mönch“ und war aufgeregt. Sushi-Birgit öffnete und lächelte wie auf ihrem Profilfoto. Sie gehörte zu jenen Frauen, die Unmengen Fotos von sich selbst aufgestellt haben, bei denen ein Katzenklo im Badezimmer unter dem Waschbecken Platz gefunden hat und die grundsätzlich eine elektrische Lichterkette im Schlafzimmer drapieren.

Ich mache es kurz, wahrscheinlich glaubt ohnehin niemand diese Geschichte , aber sie ist wahr: Birgit empfing auf High Heels, trug einen Lederminirock, der deutlich über ihren halterlosen Strümpfen endete und sie hatte auch jene EdHardy-Lederjacke an, die ich bereits vom Foto aus dem Flugzeug kannte. Als Musik lief Andrea Berg „Gefühle haben Schweigepflicht“. Ich hatte nicht geglaubt, dass es wirklich „so“ einfach sein sollte. Die Flasche ProSecco war noch nicht geöffnet, als Sushi-Birgit meinte. „Ja, ich will Sex. Aber ich sag’s dir gleich: Ich bin brustamputiert.“ Ich weiss nicht mehr, wie ich aus dieser Situation und aus der Wohnung der Frau rausgekommen bin. Eine gute Figur habe ich da sicher nicht gemacht. Eine gute Figur kann man da nicht machen.

Bizarr ist auch jene Geschichte , die sich ergab, nachdem ich auf das Profil einer Dame namens „Nur-Für-Mich2“ gestoßen war. Auch hier erregte zuerst ihr Bild, vielmehr ihre zwei Bilder, mein Interesse. Ein Foto zeigte Nur-Für-Mich2 neben einem Motorrad, mit dem sie offensichtlich einen Alpenpass erklommen hatte; auf dem anderen Bild war die dunkelhaarige, rassige Frau vor dem Salzburger Festspielhaus zu sehen. Nachdem ich Nur-Für-Mich2 glaubhaft versichert hatte, dass mein Foto kein fake sei und ich trotz meines Alters ledig der drei großen B’s (Bart, Brille, Bauch) bin (letzteres naja – auch ich übe mich am Strand in Flachatmung) schlug die Frau eine Begegnung vor. Als neutralen Ort fürs erste Kennenlernen wählten wir ein gutes Restaurant. Nur-Für-mich2 sass schon zu Tisch als ich kam, und während unseres Essens blieb sie bei ihrem nom de guerre. Unmittelbar am Nebentisch sass ein älterer Herr. Irgendwie blickte er verkrampft auf seinen Teller und einmal glaubte ich, er würde uns zuhören. Die schwarzhaarige Dame entsprach jenen 42 Jahren, die sie beim Onlinedating angegeben hatte – Meist scheitert die erste Begegnung ja daran, dass zumindest einer der beiden sich Begegnenden gefühlte dreißig Jahre älter ist als auf dem Foto im Netz. – Sie sei verheiratet, erzählte mir „Nur-Für-Mich2“ und ob denn das für mich ein Grund sei, von weiteren Begegnungen abzusehen? Ich verneinte ihre Frage. Sie schien beglückt und den weiteren Abend plauderten wir über die Schönheit Liguriens zu Ostern und über die Anselm Kiefer-Ausstellung in der Albertina. Ihre Anonymität gab die Schöne nicht auf. Sie wolle sich wieder melden, per e-mail, sagte sie zum Abschied.

Zwei Tage später schrieb sie mir, dass ich ihrem Mann Thorsten sehr gefalle. Er habe bei unserem Treffen am Nebentisch gesessen. Sie würden beide in einer glücklichen Cuckold-Beziehung leben, in die ich mich gerne integrieren könne. Sollte mir dieses ein Rätsel sein, möge ich den Begriff Cuckold googeln. Ich tat dies und empfehle dem Leser dies auch zu tun, damit er versteht, warum ich den Kontakt zu dieser durchaus schönen und intelligenten femme digitale abbrach. Internet-Kontaktbörsen erweitern eben das sexuelle Basiswissen ungemein und mir wurde der Sinn des Namens „Nur-Für-Mich2“ klar.

Zwei Beispiele aus Millionen Möglichkeiten, im Internet eine Frau zu finden. Extremfälle, die anderen erspart bleiben – oder auch nicht. Nach wochenlangem Onlinedating und virtuellem Baggern mein Fazit: die Suche nach einem Partner im Internet ähnelt einem Jagen im Zoo. Passieren kann nichts. Wo im Zoo Gitterstäbe, Panzerglaswände und Maschendrahtzäune Sicherheit garantieren, da schützt bei der virtuellen Jagd die Anonymität. Jeder hat seine Tarnkappe auf, keinem Köder aus Wort und Bild kann man trauen. Ich finde diese Form zu jagen feige und ziehe deshalb weiterhin analog die freie Wildbahn vor. Dort habe ich auch meine Frau gefunden. Das war auf einer Reise und ist eine ganz andere Geschichte... #quietwordspascalmorche

 Pascal Morché

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