QUIET WORDS
Betrachtungen des ultimativ Weiblichen
„Du nervst!“
Paare in Quarantäne – Stress statt Liebe in Zeiten von Corona
Die Verordnungen der Regierung leuchten ein. Um die Ansteckungskurve flach zu halten, sind wir in Quarantäne. Das Haus, die Wohnung darf man also nur aus „triftigen“ Gründen verlassen. Opfer müssen eben gebracht werden – und zwar von jedem! Das heißt: Besser eine Beziehungskrise als eine Krise des Gesundheitssystems.
Menschen, die miteinander eingesperrt sind, gehen sich erschreckend schnell auf die Nerven. Moderne (glückliche?) Beziehungen basieren nämlich auf der häufigen Abwesenheit des Partners. Denn, wer wüsste es nicht: Schon mehrere Feiertage nach einander gelten bereits als eine gefährliche Herausforderung für jede Partnerschaft. Deshalb ist Weihnachten für Strafverteidiger was Silvester für Handchirurgen ist: Feiertage, die diesen Berufsgruppen Hochkonjunktur bescheren.
Leider bleibt es aber bei vielen Paaren nicht dabei, sich „nur“ gegenseitig auf die Nerven zu gehen. Es kommt zum Streit, es kommt leider auch (und das nicht selten) zu Handgreiflichkeiten. Traurig genug, dass UN-Generalsekretär Antonio Guterres bereits vor einer „schrecklichen Zunahme häuslicher Gewalt“ während der Corona-Pandemie warnt. Das beweist, dass Menschen nur aus dem einzigen Grund morgens zur Arbeit aufbrechen: damit sie sich daheim nicht an die Gurgel gehen. Die Probleme, die jene häuslichen Zwangsinternierungen mit sich bringen, sie ziehen sich durch alle sozialen Schichten; sie betreffen Leichtlohngruppen ebenso wie Milliardäre. Ja, die Corona-Probleme reichen von Hartz 4 bis Chanel 5.
In Quarantäne werden die Tage länger und die Wohnungen kleiner. Zusammengepfercht machen manche Paare jetzt die Erfahrung, dass sich selbst 300 Quadratmeter nach einiger Zeit doch nur wie 30 Quadratmeter anfühlen. Längst nehmen sich Psychologen des Themas an. Als Corona-Krisengewinnler geben sie in den Medien banalste Banalratschläge: „Sagen Sie ihrem Partner, dass sie auch mal für sich sein müssen.“ Oder: „Wenn Sie zum Telefonieren ins Badezimmer oder in die Küche gehen, heißt das aber nicht, dass Sie ihn nicht mehr lieben.“ Oder: „Schatz, ich geh jetzt in den Keller. Mach dir keine Sorgen, ich bleibe etwas länger.“ Der separierte Mensch als sich umgrenzendes Ich scheint ziemlich hilflos mit sich und mit seinem Partner umzugehen, weshalb es bei beiden zum Lagerkoller kommt. Es scheint, dass nur Paare, die gemeinsam den „Ulysses“ in Sanskrit übersetzen oder exzessiv „Mensch-ärgere-dich-nicht“-spielen, gefeit sind vor dem Quarantäne-Kollaps. Viele lernen ihren Partner jetzt auch erst wirklich kennen. Sie beobachten und belauern ihn und scheinen unter seinen Verhaltensweisen erstmals wirklich zu leiden.
Als Hotspot einer Wohnung, in der man sich ertragen muss, gilt für Psychologen übrigens das Badezimmer. Es ist das Epizentrum von Streitigkeiten. Hier fällt „ihm“ nun erstmals auf, dass „sie“ stets ungefragt seinen Rasierapparat benutzt und dass sich ihre Haare immer im Abfluss sammeln und „sie“ diese nicht entfernt. Und auch „sie“ macht nun im Badezimmer erstmals die Beobachtung, dass „er“ nie die leere Toilettenpapier-Rolle ersetzt, dass „er“ nie die Klobrille herunterklappt und sowieso die Zahnpastatube nicht wieder zuschraubt. Kleinigkeiten, die wahnsinnig machen! Oder aggressiv.
Das Problem: Quarantäne ist nicht Freizeit, ist nicht Urlaub. Quarantäne ist Knast. Zwar wurde vor Corona immer schick von „Entschleunigung“ geredet, doch einer Vollbremsung auf Null ist jetzt kaum jemand gewachsen. Wenn Ihr Partner obendrein eine sehr aktive Person ist, dann kann er mit dem Zitat des Philosophen Blaise Pascal ohnehin herzlich wenig anfangen. Pascal befand: „Alles Unheil dieser Welt kommt davon, dass die Menschen nicht still in ihrer Kammer sitzen können.“ Stimmt ja auch, eigentlich: Die Jagd findet draußen statt, außerhalb der Kammer und Krieg (vom Cyber War mal abgesehen) ist ebenfalls ein Mords-Outdoor-Erlebnis. Aber Blaise Pascal schreibt eben auch, „dass die Menschen nicht still in ihrer Kammer sitzen können.“ Er schreibt nicht, dass sie nicht still sitzen müssen. Und in Quarantäne muss der Mensch. Zuhause sich langweilend, kommt er nun auf dumme Ideen. Was tun, wenn irgendwann alles geputzt und gewaschen ist? Was tun, wenn sogar das Home-Office geschlossen bleibt, weil man weder an einer Team-Konferenz noch an einer Zoom-Schaltung teilnimmt? Was tun, wenn aus social distancing längst sexual distancing geworden ist? Langeweile macht nervös. Der Mensch ist eben ein Lebewesen, das die Zeit totschlägt, bis diese sich dafür irgendwann bitter revanchiert.
Außerhalb der eigenen (oder auch gemieteten) vier Wände funktionieren die auferlegten Verhaltensmassregeln im Umgang. Zumindest meist. Also, ich wurde bisher nur einmal als „Mörder“ beschimpft. Das war, als mein Abstand zum Mitmenschen an der Supermarktkasse (aus Zufall) nur ein Meter vierzig und nicht ein Meter fünfzig betrug. Da blitzen mich plötzlich Augen an, ein Mundschutz blähte sich mir entgegen und darunter schrie es: „Mööööörrrderrrrrr“! Manchmal erinnere ich mich an Arthur Schopenhauer. Auch ein Philosoph, der über den „Abstand zwischen Menschen“ nachdachte – denn das ist ja ohnehin das einzig Wichtige worüber es sich lohnt, nachzudenken. Schopenhauer schrieb eine hübsche, kleine Parabel von mehreren Stachelschweinen, die bei großer Kälte über die Felder laufen. Die Viecher merkten bald, wenn sie sich sehr einander näherten, dass sie sich dann auch aneinander wärmten. Schöne Sache! Aber dummerweise picksten sie sich dann auch gegenseitig und taten sich weh. Die Stachelschweine haben lange gebraucht, bis sie zwischen sich genau jenen Abstand fanden, bei dem sie sich noch aneinander wärmten, aber nicht mehr einander picksten. Diesen Abstand nannten sie übrigens Höflichkeit. Stachelschweine sind mitunter etwas intelligenter als wir Menschen. Und ich sage Ihnen heute: wenn dieser ganze Corona-Spuk endlich vorbei ist, dann mach’ ich mir mal ein paar schöne Tage zuhause. Allein!
QUIET WORDS
ist die gar nicht so stille Betrachtung des ultimativ
Weiblichen, eine politisch unkorrekte Kolumne, deren Verfasser
die Frauen kennt, sie liebend gerne beobachtet und seine Gedanken hier
exklusiv niederschreibt.
Der bekannte Journalist Pascal Morché gilt als pointierter Autor, seine Kolumnen und Kommentare in führenden Tageszeitungen und Magazinen wie FAZ, SPIEGEL, die ZEIT und FOCUS zu Themen der Gesellschaft, Mode, Kunst und Kultur sind legendär. Seine "Lesungen der besonderen Art" haben Kultstatus. Seine Bücher "365 Tage Fashion" gelten als Bibel für Fashion Victims.
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