QUIET WORDS
Betrachtungen des ultimativ Weiblichen
Wie soll ich für Sie 2019 schreiben?
Zu den guten Vorsätzen (schlechte gibt’s nicht) die ich für das neue Jahr habe, gehört jener, Sie liebe Beauty.at-Leserin, mit meiner Kolumne auf keinen Fall zu langweilen.
Nun, die Jahre zuvor ist mir das wohl gelungen , denn so manches Feedback Ihrerseits bestärkt mich darin, weiterhin so zu schreiben wie bisher. Also bissig, böse, politisch unkorrekt und stets anzüglich bis kurz vor hardcore (Sex sells!). Jetzt aber, Sie werden es kaum glauben, jetzt bin ich total verunsichert. Ja, es hat jemand geschafft, mich zu verunsichern. Kaum zu glauben, diese Verunsicherung ging von schreibenden Österreichern aus. Die waren’s! Die haben das geschafft. Aber nicht Karl Kraus oder Robert Musil, nicht Thomas Bernhard oder Werner Schwab, von denen ließe, ja lasse ich mich gerne, sehr gerne, verunsichern. Nein, es kam so.
In meinem elektronischen Briefkasten landete unverlangt eine Gebrauchsanweisung von 39 Seiten, die mir erklärte, was ich tun müsse, um Texte zu verfassen. Natürlich, nicht irgendwelche Texte, sondern solche, die in einem bayerischen Heimat-Magazin österreichischer Provenienz, zwischen Bildern mit Blumen, Bergen und Bauernhöfen von Wert wären, abgedruckt zu werden. Also, creative writing sieht anders aus; oder auch nicht.
Ich lernte Grundsätzliches: nämlich dass eine Geschichte „wertfrei“ zu erzählen sei, dass dabei „aber“ Dramen wie „Krebsleiden, Fehlgeburten und Selbstmordversuche“ auszusparen sind. Das „aber“ hat sich mir bei dieser Vorschrift nicht erschlossen. Ich kenne das Landleben. Da gibt’s Menschen, die ihr Leben in einer Häckselmaschine beenden, oder als Fehlgeburt im Heuschober erst gar nicht beginnen. Ganz wertfrei.
Ich verstehe ja, dass man in einem schönen Heimat- und Natur-Magazin nicht den Blick des Filmemachers Ulrich Seidl schätzt. So ein Zyniker, der in Kellern von ländlichen Häusern, Höfen und Stallungen schlimme Dinge wie Ritter- und Andreaskreuze entdeckt. Ich verstehe, dass Brennnesseln in einem solchen Magazin als Heilkraut und Tee und nicht als Bio-Sexspielzeug für Sadomasochisten vorgestellt werden. Ich verstehe aber nicht, warum das Krebsleiden der Moosleitner Rosmarie nicht Thema sein darf, wenn doch der Moosleitner Rosmarie durch stetes Beten in irgendeiner ländlichen Gnadenkapelle himmlische Hilfe zuteil wurde.
In der Anleitung zum wahren, schönen und guten Schreiben über das wahre, schöne und gute Landleben lernte ich, dass Passivsätze zu vermeiden sind. Ja, so hart ist das Autorenleben. Ich darf nicht schreiben „dann wird das Samenkorn in die Erde gesetzt.“ Ich bin verdonnert „Der Gärtner setzt das Samenkorn in die Erde“ zu formulieren. Auch gibt es Listen, was dezidiert das „Gute“ und was das „Böse“ in einer Landgeschichte sei: Eine Auswahl des zum Guten gehörigen: „regional, verwurzelt, Heimat, Handarbeit, Jahreszeiten, Täler, Berge, Flussnamen, Donauraum“; wohingegen ganz, ganz böse Begriffe „Nachhaltigkeit“, „Entschleunigung oder „Wohlfühlmagazin“ sind – obwohl man selbst ein solches Magazin sein möchte.
Ich kann da nur raten: Entschleunigen Sie sich nachhaltig! Legen Sie sich nicht auf’s Sofa mit einem Heimatmagazin, in dem Blumenwiesen in eiskalt vorgestanzter Sprache bedichtet sind, da können Sie sich auch gleich mit Siri auf Ihrem Mobiltelefon unterhalten. Legen Sie sich besser „in der Wirklichkeit“ in die Wiese. Lassen Sie sich nichts vorträumen, sondern träumen Sie wirklich selbst. Gerne von der Wirkung von Kosmetik, von Tuben, Tiegelchen, Töpfchen und diverser Fläschen voller Seren, Cremen und Düften. Das ist alles nicht so gefährlich wie die Wirkung journalistischer Erzeugnisse. Der Konsum davon kann tödlich sein. Schon Emma Bovary brachte sich um, weil ihr Leben nie so glamourös war, wie sie es sich erträumte, wenn sie die Journale aus der fernen Hauptstadt Paris in ihre Finger bekam.
Unterschätzen Sie nie die Macht dummer Leute, die einer Meinung sind. Diese Spezies ist gern im Journalismus unterwegs und weiß „wie“ man zu schreiben hat; mehr noch: wie und was der Autor zu denken hat. (Und ich mache jetzt nicht das SPIEGEL-Fass mit Claas Relotius auf). Nur bitte ich Sie, mir stets geneigte Leserin, lassen Sie mich auch 2019 so für Sie schreiben wie bisher.
Achten Sie auf die Risiken und Nebenwirkungen, denen Sie sich ausliefern, wenn Sie Medienprodukte jeglicher Art konsumieren. Feknjuhs sind überall! Deshalb trauen sie niemals diesen Heimat-Kitsch-Land-Gefühlsmagazinen; alles darin könnte falsch und gelogen sein, alles! Jedes Gänseblümchen wurde via adobe Photoshop nachkoloriert; jeder Frühnebel über der Donau könnte von der Zigarette des Fotografen stammen; jeder Text kühl konstruiert, aseptisch, synthetisch wie ein Werbetext sein - nur nicht als solcher kenntlich gemacht. Aus Landliebe wird dann Landfrust. Kitsch hat viel mit Kälte, weil mit Verlogenheit zu tun. Und es gibt viel Kitsch am Kiosk. Ziehen Sie sich 2019 also warm an. Nicht nur im Winter.
QUIET WORDS
ist die gar nicht so stille Betrachtung des ultimativ
Weiblichen, eine politisch unkorrekte Kolumne, deren Verfasser
die Frauen kennt, sie liebend gerne beobachtet und seine Gedanken hier
exklusiv niederschreibt.
Der bekannte Journalist Pascal Morché gilt als pointierter Autor, seine Kolumnen und Kommentare in führenden Tageszeitungen und Magazinen wie FAZ, SPIEGEL, die ZEIT und FOCUS zu Themen der Gesellschaft, Mode, Kunst und Kultur sind legendär. Seine "Lesungen der besonderen Art" haben Kultstatus. Seine Bücher "365 Tage Fashion" gelten als Bibel für Fashion Victims.
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