Making of Trends
Li Edelkoort – Pionierin der Trendforschung
Als John Naisbitt in seinem Buch „Megatrends“ 1982 die Macht des Informationszeitalters voraussagte, legte er damit den Grundstein für einen völlig neuen Industriezweig: Trendforschung. Eine der ersten, die sich damit beschäftigten, war die gebürtige Niederländerin Li Edelkoort, die inzwischen selbst zur Stilikone geworden ist.
1989 gründete sie ihr Trendforschungsunternehmen Trend Union, und laut Time Magazine gehört sie heute zu den 25 einflussreichsten Personen in der Modebranche. Mit ihren „seismographischen Fähigkeiten“ erkennt sie bereits kleinste Veränderungen, die sich auf den Lebensstil und kommende Trends auswirken könnten. Mit ihren Teams in Paris und New York stellt sie die neuesten Farbtrends für Mode, Beauty und Design vor und wagt Ausblicke, was unser Seelenleben und unsere Lebensgewohnheiten bestimmen wird.
Li Edelkoort im Portrait
Li Edelkoorts Fähigkeiten als eine der führenden Trendforscher lassen sich nicht auf den ersten Blick erkennen, denn sie ist eine ruhige, ernste Person. Mit ihren beiden Katzen lebt sie in einem bescheidenen Haus in einem Pariser Vorort.
Die markanten grauen Strähnen in ihren ansonsten dunklen Haaren und die dunkle Kleidung, durch die sich der knallrote Lippenstift noch mehr hervorhebt, passen zu ihren Wurzeln, die an der Kunsthochschule liegen. Man sieht ihr nicht an, dass sie unter anderem mitverantwortlich für die Markenerfolge von Donna Karan, Gucci, Estée Lauder, Coca-Cola, Gap, Nissan oder Mattel war und ist.
Ivy Ross, heute Vize-Präsident von Gap, arbeitet seit 20 Jahren mit Li Edelkoort zusammen, unter anderem auch schon für die Bekleidungsmarke Old Navy und für Mattel. „Andere Trendforscher sagen Dir genau, was Du tun sollst. Sie geben Dir konkrete Vorstellungen“, sagt Ross. „Lis Präsentationen sind dagegen immer sehr inspirierend… sie führt Dich hinein in ihre Gedankenwelt. Sie ermutigt Dich, ein Bauchgefühl dafür zu entwickeln, um dann Deine eigenen Schlüsse ziehen.“
Das verrät uns aber noch nichts über Edelkoorts Forschungsmethoden und wie sie zu ihren Trends kommt. „Ich habe keine übernatürlichen Fähigkeiten“, sagt sie. „Ich kann nicht die Zukunft sehen, ich bin ein ganz normaler Mensch.“ Doch alles, was sie visuell aufnimmt, wird gesammelt und katalogisiert. „So sehe ich Dinge, die im Verborgenen schlummern, die in der Gesellschaft aufkeimen. Und daraus ziehe ich meine frühen Informationen.
Aus ihrem luftigen Büro in einer alten Glasfabrik im Süden von Paris, an einer Hauptstraße im unglamourösen 14. Arrondissement, leitet sie ihre kleine Firmengruppe mit insgesamt 20 Leuten. Dort werden die berühmten Trend-Bücher produziert, die über aufkommende Farb-Themen bei Produkten, Stoffen und Design informieren und auch haptische Eindrücke vermitteln.
Die inzwischen 59-jährige Li Edelkoort ist auf dem ganzen Globus unterwegs und hält Vorträge zum aufkommenden Zeitgeist. Wo kommen die Strömungen her und –für ihre Kunden noch wichtiger – wie lassen sie sich für zukünftige Produkte und Services umsetzen?
„Ein Make-up bedeutet niemals, einfach zwei Farben zu mischen“, sagt Dominique Szabo, frühere Senior Vize-Präsidentin für weltweite Produktentwicklung bei Estée Lauder, die mit Li Edelkoort seit 20 Jahren zusammen arbeitet. „Es ist immer eine (aufregende) Geschichte, inspiriert durch eine Ausstellung, einen Film oder eine kulturelle Veranstaltung. Li weiß immer, wie diese Geschichte erzählt werden soll.“ 2001, als Edelkoort die wachsende Bedeutung der Farbe Weiß prognostizierte, half sie Estée Lauder ein neues Gesichtspflegeprodukt zu kreieren, das auf Milch basierte: Nutritionist.
1999 wurde Li Edelkoort Vorsitzende der Design Academy Eindhoven, eine der prestigeträchtigsten Designschulen weltweit. Auch wenn Sie den Vorsitz im letzten Jahr abgab, wird sie doch als Ziehmutter vieler bekannter Designer genannt, darunter Maarten Baas (Design Miami 2009 Designer of the Year), Hella Jongerius und Job Smeets. Murray Moss, Mitbesitzer des New Yorker Designhauses Moss, kennt Li Edelkoort seit 1994: „Sie lehrte ihre Schüler außerhalb der in Kunsthochschulen üblichen Strukturen zu denken.“
Wenn sie eine Begabung hat, dann die, wie ein Seismograph schon kleinste Veränderungen zu erkennen, zu nutzen und sie zu benennen. Edelkoort gibt zu, überall, wo sie ist, Leute zu beobachten. Die Hälfte des Jahres ist sie auf Reisen – vor allem Tokio, Stockholm, Istanbul und Neu Delhi inspirieren sie. Sie ist ein großer Fan von CNN – der Sender läuft zu Hause und im Büro. Wo auch immer sie hinkommt, verlässt sie ihr Hotel, spricht mit Fremden und schaut sich an, was die Leute tragen und was sie einzigartig macht. „Wir scannen und kategorisieren alles, was wir sehen. Wenn ich zu einer Vorlesung gehe, schaue ich: Wie viele Leute sind blond? Wie viele haben dunkle Haare? Wie viele tragen Jeans und wie viele Anzüge? Alles wird notiert und archiviert.“
Manche gehen sogar so weit zu sagen, Li Edelkoort sage die Trends nicht voraus, sie macht sie. „Sie ist ein Trendsetter“, sagt Reinier Evers, der Gründer von Trendwatching.com. „Das liegt daran, das sie so viele treue Anhänger hat. Wenn Sie etwas prognostiziert, wird es wahr. Es ist eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Ich bewundere Li Edelkoort für ihr unglaubliches Talent, den Zeitgeist so exakt zu treffen.“
Quelle: The Wall Street Journal, 03.12.2009