Die Bakterien-Flüsterin

Wie Dr. Marie Drago das Mikrobiom zur Erfolgszone machte

Dr. Marie Drago  - Gründerin von Gallinée© Gallinée

Sie ist leidenschaftliche Wissenschaftlerin mit jeder Menge Humor und verbringt die meiste Zeit mit der Erforschung des Mikrobioms, ihr Spezialgebiet und die Basis für ihre Hautpflegelinie Gallinée , die sie vor kurzem erfolgreich in das Portfolio des Shiseido-Konzerns integrierte. Warum Dr. Marie Drago, die sich selbst mit einem Augenzwinkern als „Bakterien-Flüsterin“ bezeichnet, gerne mehr über weibliches Unternehmertum sprechen würde, ein Faible für japanische Pilgerwege hat, Kaiserschmarrn kaum widerstehen kann und mit einem Malbuch Kindern zeigt, wie sie ihre Mikrobiota richtig füttern. erzählt sie in unserem Interview.

Marie, gibt es eine Frage, die man Ihnen noch nie gestellt hat? Ein Thema, über das Sie gerne sprechen möchten?
Ich bin sehr stolz auf das, was ich geschaffen habe, und interessanterweise fragt kaum jemand nach der Unternehmerin, was es bedeutet, ein Unternehmen aufzubauen. Ich möchte gerne Frauen inspirieren, an ihre Ideen zu glauben, mehr Selbstvertrauen zu  haben, ihren eigenen Weg zu gehen und ihr eigenes Unternehmen zu gründen. Dazu kann es nicht genug Fragen geben.

Woran mag es liegen, daß Frauen zögern, ihr eigenes Unternehmen zu gründen?
Ich weiß es nicht. Ich lerne viele junge Frauen kennen, die sehr gut und sehr begabt sind. Aber sie haben Angst, beurteilt zu werden, es nicht  zu schaffen. Aber was kann schon passieren? Sollte es nicht klappen, so besteht immer die Möglichkeit in den Job zurückzukehren – und auch das ist in Ordnung. 
Ich weiß natürlich, dass es uns manchmal an Selbstvertrauen fehlt, aber umso bemerkenswerter ist für mich, dass ich in den 10 Jahren meiner Selbstständigkeit nie Konkurrenten oder Feinde getroffen habe, sondern nur Menschen, die zusammen wachsen wollen. Ich  hatte das Glück, wunderbare Menschen, vor allem Frauen (lacht), kennenzulernen, die gerne zusammenarbeiten, sich inspirieren und miteinander wachsen.  

Die Hautpflegelinie für ein gesundes Mikrobiom© Gallinée

Das beste Beispiel wie es funktioniert, liefert die Wissenschaft. Bakterien im Mikrobiom arbeiten in komplexer Weise zusammen, ein Zusammenspiel von gegenseitiger Unterstützung und Konkurrenz. Sie teilen Ressourcen, produzieren miteinander Interaktionen und beeinflussen dadurch ihre eigene Entwicklung als auch die ihres Umfeldes. Daraus sollten wir lernen. Aus der Zusammenarbeit entstehen interessante neue Dinge, im Ökosystem des Mikrobioms spiegelt sich der ideale Weg des Miteinanders wider.

Jetzt, wo Sie mit Gallinée Teil der Shiseido-Gruppe sind, haben Sie nun mehr Zeit, um in Ihrem Lieblingsbereich – der Forschung – zu arbeiten? 
Absolut – ja! Shiseido legt großes Gewicht auf Forschung und Entwicklung. Was uns hier eint, ist der Glaube und das Bestreben, durch unsere Forschung zu einer besseren Welt beizutragen – für eine gesunde und schöne Haut. Ich verbringe sehr viel Zeit mit der Entwicklung von innovativen Produkten, die wegweisend für die Zukunft sein werden. 

Auf dem Europäischen SKIN MICROBIOM CONGRESS spreche ich über mikrobiom-freundliche Produkte. In diesem wissenschaftlichen Umfeld kann ich neue Kontakte knüpfen, mich weiterbilden und mir Inspirationen für meine Arbeit im Labor holen. Wir arbeiten derzeit an Innovationen, die man nicht mehr als klassische Hautpflege bezeichnen kann, es geht weit darüber hinaus, hilft der Haut zu leben und zu atmen – es ist so cool, wenn man in Richtung „Blue Sky Thinking“ arbeiten kann, ohne Einschränkungen und Hürden.

Anmerkung: Blue Sky Thinking bezeichnet einen kreativen Prozess, bei dem Ideen ohne Einschränkungen erarbeitet werden. Es geht darum, sich neue, unkonventionelle Möglichkeiten für Probleme oder Herausforderungen zu überlegen. Blue Sky Thinking auf Vorstellungskraft und Kreativität

Das führt mich sofort zu nächsten Frage: Welche neuen Produkte sind in der Pipeline? 
(Lacht). Ja, fragen Sie nur, aber ich darf nichts verraten. Und das bedaure ich sehr, denn teile gerne mein Wissen. Aber bevor es soweit ist, müssen viele Details wie Patente geregelt sein. 

Wie sehen Sie die Zukunft der Kosmetikindustrie in Bezug auf technologische Innovation und künstliche Intelligenz? 
Ich muß jetzt mal kontrovers sein, denn ich finde künstliche Intelligenz ziemlich langweilig. Ich bin per Definition sehr organisch, ich mag die Biologie des Humanen, die Art wie wir kommunzieren. Wir wissen, daß wir Hautpflege neu denken, eine  neue Richtung einschlagen müssen. 

Dr. Marie Drago© Gallinée

Die Haut funktioniert wie eine Mauer, sie ist jedoch mit den Organen verbunden und wir werden in Zukunft die Haut von innen heraus unterstützen und stärken müssen. Wir sprechen von Nahrungsergänzung, nennen es Wellness, aber Wellness mit wissenschaftlichem Hintergrund. Wir können etwa den Stresslevel senken - und das hat wieder Auswirkungen auf die Haut. Oder nehmen wir Zahnpasta – ein hochinteressantes Produkt, wenn wir an den Mund als "Tor" zum Körper denken. Hier passiert sehr viel, das sich in positiver Weise beeinflußen läßt. Wie Sie sehen, arbeiten wir an hochinteressanten Themenfeldern, die in den kommenden Jahren sehr viel daran ändern, wie wir über Hautpflege denken.

Wo künstliche Intelligenz wirklich helfen kann, ist die Suche nach neuen Inhaltsstoffen. Etwa bei Prä- oder Probiotika, da gibt es Millionen von Bakterien und es ist enorm schwierig, die Richtigen für z.B. Rosacea oder  Akne zu finden. Das finde ich wirklich spannend, der Rest ist uninteressant.

Bleiben wir noch ein bisschen in der digitalen Welt. Gibt es wissenschaftliche Influencer, denen Sie folgen? 
Meine Lieblingswissenschaftler ist Elisabeth Bik , sie ist eine der besten MikrobiologInnen und hat die unglaubliche Fähigkeit, wissenschaftliche Manipulationen aufzudecken. Sie konnte zahlreiche Fälle manipulierter Abbildungen und gefälschter Forschungsdaten und -publikationen in wissenschaftlichen Studien aufklären. Besonders häufig konnte sie Bildmanipulationen nachweisen, hunderte Studien wurden anschließend zurückgezogen. Elisabeth Bik ist in der wissenschaftlichen Welt sehr einflussreich, ich hatte die Möglichkeit sie kennenzulernen und sie ist  eine tolle Frau.  Sie veröffentlicht sehr viele Videos und ist leider auch  negativen Reaktionen ausgesetzt.

Das ist wohl eine Begleiterscheinung der sozialen Medien, mit der sich viele Menschen, die in diesem Rahmen publizieren, konfrontiert sehen.
Ich vertrete die Theorie, dass ein gutes Mikrobiom die Empathie steigert. Es ist wissenschaftlich bewiesen, wie mikrobielle Störungen z.B. Schizophrenie und andere pathologische Erkrankungen begünstigen. Ich glaube, wenn die Menschen mehr Ballaststoffe essen würden, wären sie auch netter zueinander.  

Wie wichtig ist Ihrer Meinung nach die Zusammenarbeit zwischen Medizin, Technik und der Kosmetikindustrie? 
Das ist eine sehr gute Frage und wichtig, weil die Kosmetikindustrie wirklich Hervorragendes leistet. Viele machen sich darüber lustig, weil sie meinen, daß Kosmetik ziemlich sinnlos ist. Das glaube ich nicht, denn wir sind eine Industrie, die im Vergleich zur Medizin extrem schnell auf die Wünsche des Konsumenten reagiert. 

Mit Gallinée habe ich eine mikrobielles Hautpflege-Linie auf den Markt gebracht, weil ich wusste, dass Nachfrage besteht – und ich war schneller als die Pharmaindustrie. Ich bin grundsätzlich sehr schnell in der Produktentwicklung, weil ich „kosmetisch“ denken kann. Wenn der Konsument sagt, was er/sie will oder nicht will, dann muß man eine Lösung finden – und das sehr schnell.
Als Teil der Kosmetikindustrie beweise ich immer wieder, daß wir sehr seriös arbeiten, daß wir Wünsche schnell realisieren und die Ansprüche der Konsumenten erfüllen. Schon allein der Konkurrenzdruck fördert diese Vorgangsweise.

Die Kosmetikindustrie greift vieles aus der Medizin auf. Denken wir an den Nobelpreisträger, der für die Entdeckung der Aquaporine ausgezeichnet wurde und wie schnell  die Kosmetikindustrie dieses Thema durch Produktinnovationen kommunizierte. 
Genau –  und damit wird es sofort verstanden. Große wissenschaftliche Innovationen werden dadurch für viele Menschen verständlich und auch anwendbar. Dafür bin ich sehr dankbar.

Auf der Website von Gallinée findet sich das Pub-Quiz - worum geht es da?
Es sind Frage-Antwort-Spiele, die komplizierte Zusammenhänge einfach erklären. Z.B. was wissen wir wirklich über Akne? Was ist Ihr Lieblingsbakterium oder wie finden Sie Bakterien, von denen Sie nicht wussten, dass Sie sie jeden Tag benutzen? Es ist mir wichtig, diese Dinge verständlich zu machen, zu zeigen, daß es Spaß machen kann, sich damit zu beschäftigen. So machen Bakterien Spaß!

Auf unserer Website finden sich einige dieser Frage-Antwort-Spiele, sie wurden für die Markteinführung von Gallinée entwickelt, um das Thema auf heitere Weise zu transportieren. Ich habe auch das erste Mikrobiom-Malbuch entwickelt. Meine kleine Nichte weiß alles über das Mikrobiom und sie füttert ihre grünen und rote Mikrobakterien anhand der Farben z.B. grün für Spinat, damit es ihnen gut geht. Das funktioniert wirklich gut, um Kindern gesunde Ernährung schmackhaft zu machen.

Ein gutes Thema - was ist Ihr Lieblingsgericht? 
Ach du meine Güte, ich liebe Kefir, setzt ihn selbst an. Außerdem liebe ich die deutsche und österreichische Küche, z.B. Kaiserschmarrn. Nicht unbedingt ideal für das Mikrobiom, aber es schmeckt so gut.

Wann haben Sie das letzte Mal herzlich gelacht und warum?
Es war bei einem Kongress, ich hielt einen Vortrag und ich war ein wenig nervös, denn da waren sehr viele Ärzte, alle spezialisiert auf das Mikrobiom. Anschließend fragte ich einen von ihnen, wie es war und er sagte: ich habe noch nie jemanden gesehen der sich so über seine eigenen Witze amüsiert hat.

Welches Kosmetikprodukt ist immer in Ihrer Handtasche?
Es ist eines, daß ich Ihnen nicht zeigen kann, ich kann nicht mal drüber sprechen, da es noch in der Entwicklung ist. Es wird erst nächstes Jahr lanciert.

Pflegen Sie ein tägliches Ritual für das Wohlbefinden?
Ich gehe sehr viel, da ich wenig Sport mache. Morgens trinke ich meinen Tee und dann gehe ich ca. 45 Minuten zur Arbeit. Ich liebe es, durch die Straßen von Paris zu gehen, die Stadt ist sehr schön. Das hilft mir, die Gedanken zu ordnen. Beim Gehen habe ich die besten Ideen. 

Welches ist Ihr liebstes Urlaubsziel? 
Japan - und das hat jetzt nichts mit Shiseido zu tun (lacht). ich gehe hier den Shikoku Pilgerweg , der von Tempel zu Tempel führ. An jedem der insgesamt 88 Tempel erhält man von einem Mönch einen Stempel und eine Kalligraphie in ein Pilgerbuch, so dokumentiert man den gesamten Weg. Es sind insgesamt ca. 1400 km und ich gehe das in Etappen, sonst würde ich ca. 45 Tage für den gesamten Weg benötigen.

Die letzte Frage: Verraten Sie uns Ihren Lieblingsduft?
Ich liebe den Duft von Grapefruits, ich bin verrückt danach. Ich mag das Bittere des Duftes, es ist eine ganz spezielle Nuance. Am liebsten würde ich alle meine Produkte damit parfümieren. Mein persönliches Lieblingsparfum ist Pomelo Paradis von  Atelier Cologne. Es wurde leider aufgelassen und ich hoffe sehr, daß sie es wieder aufleben lassen.

Vielen Dank für das Interview!

Dr. Marie Drago ist Doktorin der Pharmazie und Gründerin von Gallinée. Ausgebildet in Frankreich, zog sie nach ihrem Pharmaziestudium nach Dublin und später nach London, wo sie für internationale Kosmetikmarken tätig war. Eine seltene Autoimmunerkrankung, Pyoderma gangrenosum, brachte sie auf die Spur des Mikrobioms. Statt aufzugeben, forschte sie weiter: Sie entwickelte ihre eigene pro- und präbiotische Hautpflege, schrieb eine Doktorarbeit über Hautprobiotika, ließ diese patentieren – und gründete daraufhin Gallinée.

In Österreich ist Gallinée in den Müller Drogeriemärkten zu finden.