Die Sprache des Parfums

Interview mit Jacques Polge, Parfumeur und Nase von Chanel

Seit 1978 ist Jacques Polge Parfumeur von Chanel und hat viele der großen Düfte des Hauses  wie Coco, Egoiste, Allure und Chance geschaffen.  Nach Ernest Beaux - dem "Vater" von Chanel N° 5 -  und Henri Robert, dem wir Parfums wie N° 19 und Pour Monsieur verdanken, ist er erst der dritte Parfumeur von Chanel. Anders als seine Vorgänger ist Jacques Polge kein Chemiker,  sondern ein Mann der Sprache.

Jacques Polge, Parfumeur und Nase von Chanel

 Nach einem Philologie-Studium wagte er in Grasse, der Hauptstadt des Parfums eine Neuorientierung und erlernte beim großen Meister Jean Carles die Sprache des Parfums.

Hier entwickelte Jacques Polge sein unglaubliches Talent: bis heute hat er mehr als 3.000 Duftstoffe in seinem Gedächtnis, das er gerne als seine Duft-Bibliothek bezeichnet,  gespeichert und kann diese klassifizieren.

Monsieur Polge, wie kann man den Geruchsinn trainieren ?

"Der Geruchsinn ist nicht nur für mich, sondern für jeden Menschen von großer Bedeutung, er gehört zu unserem Leben und ist Teil unserer Lebensqualität. Ohne Geruch würde auch der Geschmacksinn beeinträchtigt werden. Um meine Nase zu trainieren,

 habe ich in meinem Gedächtnis eine Art von "Duft-Bibliothek" angelegt, in welcher ich die Düfte in Gruppen zusammenfasse. Es ist alles nur eine Frage der Übung", gibt sich der Meister bescheiden. "Der Vorteil einer guten Nase ist die Tatsache, daß sie auch in der Lage ist, ein gutes Parfum zu kreieren. Aber die Entscheidung über den Erfolg eines Duftes trifft immer der Konsument," unterstreicht Jacques Polge.

Wir wollten wissen, wie der grosse Parfumeur an die Kreation eines neuen Duftes herangeht .

Jacques Polge erklärt dazu: "Parfum ist für mich reine Intuition, das Aufeinandertreffen von Zeitgeist, universellen Werten der Verführung und den Werten von Chanel. Ich habe den Vorteil, frei arbeiten zu können und mich an keine Kosten- oder Marketingvorgaben halten zu müssen. Dabei arbeite ich wie ein Komponist und habe meine "Duftsymphonie" im Kopf. Durch Formeln, die Zusammenstellung von entsprechenden Duftmischungen und ständiges Überarbeiten nähere ich  mich dem gewünschten Ergebnis, bis die kostbare Endfassung erreicht ist."  Jacques Polge besitzt die Gabe, den Duft auf Basis einer geschriebenen Formel zu erahnen - ein Talent, das nur wenigen Menschen zueigen ist.

"Was macht einen Duft so besonders, Monsieur Polge?"

Für Jacques Polge sollte jeder Duft ein Geheimnis haben, das seine Mystik bewahrt und ihm den Zauber des Rätselhaften verleiht. Bei Chanel N° 5 liegt dieses Geheimnis in der Vielzahl an Blüten, welche in ihrer Gesamtheit den Charakter des Duftes prägen, wobei keine der Blüten konkret hervorgehoben wird. Die Duftformel von Chanel N° 5 ist nur 4 Personen bekannt und besteht zu 10 % aus Jasmin und 3 % aus Mairosen. "Die übrigen 87 % der Formel verkaufe ich an den Meistbietenden", erklärt uns Jacques Polge mit einem Augenzwinkern und wehrt alle weiteren Anfragen mit einem verschmitzten Lächeln ab.

Chanel N° 5 ist der Inbegriff des Klassikers, ein großer Duft mit Geschichte, von zeitloser Raffinesse und mit einer aufregenden Zukunft. Seit 1921 schreibt dieses Parfum eine unglaubliche Erfolgsgeschichte.

"Wie bewahrt man in Zeiten fortschreitender Umweltbelastungen, welche auch die Blüten als kostbare Rohstoffe des Duftes betreffen, die Qualität eines Duftes ?"

Rosenernte in Grasse

"Unsere Bemühungen zur Erhaltung traditioneller Anbaumethoden speziell hier in Frankreich bei Jasmin und Mairosen sind enorm," erläutert Jacques Polge, "da wir es uns einfach nicht leisten können, die Qualität zu reduzieren. 

Die Grundlage der Formel von N° 5 sind erlesene Blüten aus der ganzen Welt, einige von ihnen sind nicht zu ersetzen und machen den eigentlichen Charakter des Parfums aus.

Aus diesem Grund haben wir beispielsweise hier in Grasse unsere eigenen Rosenfelder angelegt und exklusive Partnerschaftsabkommen geschlossen, um die Versorgung mit diesen exklusiven Qualitätsrohstoffen sicherzustellen.

Normalerweise gilt in der Parfumindustrie der Grundsatz "production follows labor" d.h. man baut dort an, wo  - die richtigen klimatischen Bedingungen vorausgesetzt - die Arbeitskraft am günstigsten ist. Chanel hat sich der Exklusivität verpflichtet. Wir reduzieren lieber die Quantität und achten dabei auf höchstmögliche Güte und erstklassige Arbeit zu fairen Preisen. Dabei riskieren wir natürlich auch Lieferengpässe, aber das nehmen wir bewusst in Kauf!"

Heute werden Duftstoffe und Aromen gezielt zur Leistungssteigerung, zum allgemeinen Wohlbefinden oder auch als Kaufmotivation eingesetzt. " Welch treibende Kraft verbirgt sich in den Düften von Chanel ?"

"Jedes Parfum von Chanel kommuniziert Liebe - auf seine ganz individuelle Art. Diese Kernbotschaft findet sich in allen Düften unseres Hauses," erklärt Jacques Polge, um auch gleich den Einsatz von Duftstoffen im Alltag zu beleuchten. "Die Menschen haben viele Gerüche vergessen. So manches Handwerk ist ausgestorben und wir wissen nicht mehr, wie es bei einem Schmied oder einem Sattler riecht!" Möglicherweise holen wir uns damit auch ein duftendes Stück Geborgenheit in unser Leben.

Zum Abschluß des Gespräches wollten wir dem Geheimnis von Chanel N° 5 auf den Grund gehen.
Monsieur Polge, wie kann ein Parfum wie Chanel N° 5 über fast ein Jahrhundert so unglaublich erfolgreich sein, während viele andere Düfte, die heute auf den Markt kommen, kaum noch eine zweite Saison erleben?
"

Chanel No 5

"Der Mißerfolg eines Parfums hat immer viele verschiedene Gründe, aber wir erleben in den letzten Jahren eine verstärkte Banalisierung von Düften," erklärt uns dazu Jacques Polge. "Parfum wird oft in supermarkt-ähnlichen Geschäften verkauft und verliert dadurch sowohl seinen Status als Luxusprodukt sowie seinen entsprechenden Wert.

Ich habe das großen Glück für ein Unternehmen zu arbeiten, das einen anderen Weg geht und der Versuchung der Banalisierung widersteht. Unsere Aufgabe für die Luxusmarke Chanel besteht darin, den Menschen die Kunst unseres Handwerks zu vermitteln. Seit den Zeiten von Ernest Beaux in den 1920er Jahren hat sich vieles verändert.

Aus Parfumeuren wurde  eine Parfumindustrie, doch bei Chanel legen wir weiterhin größten Wert auf die Philosophie eines Duftes und die Kunst des Handwerks. Chanel Parfums sind niemals Modeerscheinungen, sondern Düfte von epochaler Bedeutung, die auf Dauer angelegt ist."  Für Jacques Polge stehen Mode und Parfum in engem Zusammenhang. "Das Parfum setzt die Arbeit des Couturiers in gewisser Weise fort", betont er. "Die Mode bekleidet den Körper, das Parfum die Seele des Menschen."

"Verraten Sie uns, an welchem Duft Sie derzeit arbeiten, auf welches neue Parfum dürfen wir uns freuen ?" 

"Chanel wird Ende 2008 in den USA das neue Parfum BEIGE vorstellen, welches in der Reihe "Les Exclusifs de Chanel" erscheint  wird und anschließend weltweit präsentiert wird." 

Dieses Parfum basiert auf einer Idee von Coco Chanel, welche in den 1930er Jahren möglicherweise in Anspielung auf die Farben der französischen Flagge die Düfte ROUGE, BLEU und BEIGE de Chanel kreierte (Anmerkung der Redaktion).

Vielen Dank für das Gespräch.

HFH -  Mai 2008