Artificial Me
Die digitale Identität
War früher die Identität einer Person in der Regel durch physische Merkmale, sozialen Status und persönlichen Beziehungen definiert, so tritt heute unsere digitale Identität hinzu und gewinnt zunehmend an Bedeutung. Sie umfasst die Summe der Informationen, die online über uns verfügbar sind, sei es durch soziale Medien, Online-Profile oder andere digitale Aktivitäten. Das bleibt nicht ohne Auswirkung auf unser Gefühlsleben. Die Art und Weise, wie wir uns online präsentieren und wie andere uns online wahrnehmen, beeinflusst zunehmend unser Selbstwertgefühl und unser Selbstbild. Denn gerade soziale Medien nehmen einen immer größeren Raum ein. Nicht wenige von uns verbringen dort täglich mehrere Stunden, Tendenz steigend. Allerdings ist es damit nicht getan. Wir nehmen auch die anderen User wahr. Wir haben dazu mit Dr. Yana Fehse, Psychologin und Expertin für ein souveränes und überzeugendes Auftreten, gesprochen,
Selbstdarstellung in sozialen Medien
Gerade digitale Plattformen wie etwa Facebook, Instagram, Twitter und LinkedIn ermöglichen es, unser Leben online darzustellen, Fotos, Videos und Beiträge zu teilen – und mit anderen Informationen und Meinungen auszutauschen. Dabei können wir selbst bestimmen, welche Aspekte unseres Lebens wir online zeigen und welche nicht. Wir haben es zum Beispiel selbst in der Hand, welches Foto wir von uns auswählen, wie wir es bearbeiten – und mit welcher Story wir es unterlegen. Die Verführung ist also groß, dass wir versuchen, ein möglichst perfektes Bild von uns selbst zu zeigen, um die Zustimmung und Anerkennung anderer zu erhalten. Das Prinzip ist vergleichbar mit einer perfekt dekorierten Schaufensterauslage. Wir wollen, dass andere uns sehen und sagen: „Wow! Das ist ja großartig!“.
Niemand ist aber wirklich perfekt. Dieses von uns selbst geschaffene digitale Bild – the artificial Me - kann somit schnell zu einem „Fake“ werden.
Es gibt aber noch ein weiteres Problem: Die permanente Verfügbarkeit aller digitaler Identitäten führen dazu, dass wir uns ständig mit anderen vergleichen können. Wir sehen die vermeintlichen Höhepunkte im Leben anderer Menschen - und wir messen uns daran. Wo stehen die anderen? Und wo stehe ich? Es liegt auf der Hand, dass derartige Vergleiche unser Selbstwertgefühl negativ beeinflussen können. Es bleibt nicht aus, dass wir uns auch mit digitalen Identitäten vergleichen, die hübscher, erfolgreicher und glücklicher zu sein scheinen. Wir ahnen zwar, dass die anderen auch ein von der Realität abweichendes Bild von sich zeichnen, den Grad der Abweichung kennen wir jedoch nicht. Das kann verunsichern.
Stille Beobachter vs. aktive Nutzer
Auch die Art und Weise, wie wir soziale Medien nutzen, wirkt sich auf unser Selbstwertgefühl aus. Im Wesentlichen gibt es zwei Gruppen: die stillen Beobachter und die aktiven Nutzer. Stille Beobachter sind diejenigen, die überwiegend Inhalte konsumieren, ohne selbst Beiträge zu veröffentlichen. Stille Beobachter können von den veröffentlichten Inhalten anderer Nutzer durchaus negativ beeinflusst werden, insbesondere wenn diese Inhalte ein idealisiertes oder unrealistisches Bild von Schönheit, Erfolg oder Glück präsentieren. Der ständige Vergleich mit anderen kann auf die Dauer zu einem niedrigeren Selbstwertgefühl führen, weil das Gefühl überwiegt, nicht mithalten zu können.
Demgegenüber veröffentlichen die aktiven Nutzer in sozialen Medien regelmäßig Inhalte, interagieren mit anderen Nutzern und nehmen an Online-Diskussionen teil. Durch ihre aktive Beteiligung haben sie mehr Kontrolle über die von ihnen geteilten Inhalte, und sie können im Gegensatz zu den stillen Beobachtern Anerkennung und positive Rückmeldungen von anderen Nutzern erhalten. Allerdings sind sie auch nicht immun gegen negative Auswirkungen. Der Druck, perfekte Inhalte zu erstellen und möglichst viele Likes oder Follower zu haben, kann zu Stress und einem Gefühl der Unzulänglichkeit führen, wenn die erwarteten Reaktionen ausbleiben.
Shitstorm in sozialen Medien
Intensive negative Erfahrungen im digitalen Raum wie Cybermobbing und Online-Hasskommentare können das Selbstwertgefühl erheblich beeinträchtigen. Anonymität und Distanz im Internet fördern manchmal eine rücksichtslose Kommunikation, die auf persönlicher Ebene verletzend ist.
Die Kunst, mit Social Media entspannt umzugehen
Es hilft, sich eine gesunde Distanz zu bewahren. Wer aktiv mitmischt, hat die Chance, positive Feedbacks kompensatorisch innerlich zu verbuchen. Schwieriger ist der Umgang mit Hatern. Als Opfer von negativen Kommentaren sollte man sich klarmachen, dass diese nicht repräsentativ für die tatsächliche Meinung der Menschen sind. Oftmals handelt es sich bei den Verfassern um anonyme Nutzer, deren Ziel es ist, andere zu verletzen oder zu provozieren, sei es aus persönlichem Frust oder Langeweile. Zudem muss die Meinungen anderer nicht Ihre eigene Wahrheit wiedergeben. Es kann daher hilfreich sein, negative Kommentare schlichtweg zu ignorieren oder sich von ihnen innerlich abzugrenzen („Das hat nichts mit mir zu tun.“). Fokussieren Sie lieber auf positive Rückmeldungen.
Wir sind mehr als unser digitales Selbstbild
Das Wichtigste ist jedoch zu erkennen, dass unsere digitale Identität nur einen Teil unserer Persönlichkeit ausmacht. Wer sich mit dem richtigen Mindset in die „Vergleichshölle Social Media“ begibt, kann sein Selbstwertgefühl wirksam schützen. Jeder Mensch ist auf eine andere Weise wunderbar ist, und die Erfolge anderer bilden nicht immer die volle Realität ab. Zudem kann sich jeder einzelne für eine positive und unterstützende Online-Kultur einsetzen. Destruktive Kommentare nützen niemandem, auch nicht dem Verfasser.
Mehr zu diesem Thema finden Sie in dem neuen Buch von der Psychologin Dr. Yana Fehse „Radikales Selbstvertrauen – Die geheime Stärke erfolgreicher Menschen“
Dr. Yana Fehse ist Psychologin und Expertin für ein souveränes und überzeugendes Auftreten. Als Mindset-Coach unterstützt sie weibliche Führungskräfte ein starkes Selbstbewusstsein und mehr Durchsetzungskraft zu entwickeln, um ihren beruflichen Werdegang erfolgreich zu meistern.