Interview mit Kilian Hennessy

Beautesse-Herausgeberin Helga Fiala-Haslberger traf Kilian Hennessy anläßlich der Präsentation seiner neuen Duftkollektion «In the Garden of Good & Evil» in München und bat den charmanten Künstler unter den Parfümeuren zum Interview.

Was bedeutet Ihre neue Duftkollektion für Sie ?

Mit den beiden letzten Schwester-Kollektionen Asian Tales und Arabian Nights bin ich in die Kulturgeschichte eingetaucht. Asian Tales fängt Momente der Meditation auf eine leichte, fast transparente Art ein, mit Arabian Nights ging es mir darum, die Tiefe einer Kultur und zudem eine Fusion zwischen der Parfumkultur des Vorderen Orients und der modernen Welt erlebbar zu machen.

Kilian Hennessy

«In the Garden of Good & Evil»  ist für mich die zweite große Kollektion nach «L'Oeuvre Noire». Es ist eine zeitgemäße Metapher des Garten Eden. Alle Komponenten des biblischen Paradieses wurden miteingebunden und zeitgemäß interpretiert. Die Schlange, die Versuchung, Blätter – einfach alles. Die Herausforderung war es, die Versuchung als Duft darzustellen,

Woher kam die Idee?

Die Basis bildete die Versuchung, ihre Bedeutung und wie immer wollte ich Zeitgemäßes mit historischem HIntergrund vereinen, da eine fundierte Basis für meine Arbeit sehr wichtig ist. Warum nicht an der Versuchung aller Versuchungen arbeiten, die Urmutter der Versuchung – die biblische Versuchung. Interessanterweise hat sich noch nie jemand an diesem klassischem Thema als Duftinterpretation versucht, während die Versuchung sonst in jeder Kunstform bereits zum Ausdruck gebracht wurde.

Der Begriff hat eine starke ikonographische Referenz, inspirierte mich sehr stark  und ich wollte ihn in meine Welt übersetzen. Vom olfaktorischen Standpunkt ist es natürlich unglaublich interessant, die Idee der verbotenen Frucht umzusetzen. Es war sehr aufregend, man hat nicht oft die Möglichkeit, ein Thema zu interpretieren, das eine so direkte olfaktorische Übersetzung aufweist.

Jeder ihrer Düfte weist eine Verbindung zum geschriebenen Wort auf, zur Poesie, zur Kulturgeschichte - und nun geht es um ein Thema aus dem Buch der Bücher. Würden Sie sich als religiösen Menschen bezeichnen?

Ich glaube nicht. Oder ja, ich denke schon, aber ohne das Drumherum. Ich glaube nicht an eine einzige Religion, ich habe meine eigene Vorstellung, mische ein bisschen von allem. Es gibt einiges, was ich an den religiösen Riten antiker Kulturen schätze, die Gott in allem sahen – das war automatisch mit mehr Respekt vor der Natur verbunden. Ich bin keinesfalls einer einzigen Religion zugetan, ich glaube doch, einen zeitgemäßeren Zugang zu haben, indem ich vieles kombiniere.

Aber vieles ist für mich selbst nicht klar definiert. Ich zweifle, ich glaube, manchmal würde ich gerne nicht glauben, aber ich kann nicht nicht glauben. Es ist eine der schwierigsten Fragen, die mir je gestellt wurden (lacht).

Kilian by Rankin

Sehen Sie die Kreation eines Duftes, die Gestaltung eines Flakons als "heilige Handlung" an?

Die Antwort ist Nein, aber ich sage immer, Gott ist in jedem Detail. Und meine Düfte, ihre Zusammensetzung, ihre Verpackung  - sie müssen perfekt sein, und da kümmere ich mich natürlich um jedes Detail. Ich könnte  niemals ein Produkt auf den Markt bringen, von dessen Perfektion ich nicht 100% überzeugt bin.

Der Akt des Schaffens, die Kreation, ist eine Herausforderung des Schicksals. Man steckt sehr viel von sich selbst in ein Produkt, man spiegelt sich darin wider, es wird zu einem Teil der Persönlichkeit. Und dann kommt dieser Moment, an dem man es aus der Hand gibt - und man kann nichts mehr tun. Es wird beurteilt. Und man kann nur Glück haben, daß Journalisten und natürlich die Kunden den Duft mögen. Es liegt in Gottes Hand, nicht wahr?

Wie stark ist der Wunsch ein Parfum zu kreieren, in Ihnen verankert? Gibt es diese Sehnsucht nach dem Akt der Schöpfung?

Ich weiss  nicht, es ist eine komplizierte Debatte, die ich auch selbst mit mir führe. Manchmal denke ich, ich werde auf ewig weiterhin kreativ sein und Düfte entwickeln, andererseits denke (oder fürchte) ich, daß ich möglicherweise an einem Punkt gelangen könnte, an dem ich nichts mehr zu sagen habe, und dann sollte ich rechtzeitig aufhören.

Sehr oft weiss man erst, was man hatte, wenn man es nicht mehr hat. Sie kennen sicher das Zitat: Man weiß sein Glück erst zu schätzen, wenn man es verloren hat. Aber im Moment kann man es nicht richtig bewerten. Vielleicht weiss ich zur Zeit gar nicht, was ich hier habe.

Würden Sie es vermissen, keine Düfte mehr zu schaffen? Gab es jemals eine Phase, in der Ihnen dazu nichts eingefallen ist?

Eine solche Phase habe ich nie erlebt. Seit ich das College beendet habe, war ich ununterbrochen damit beschäftigt. Es gab nie eine Pause. Ich habe immer durchgearbeitet. Und wenn ich den Job gewechselt habe, so bin ich Freitag von einem Job weg und habe am Montag den nächsten Job begonnen.

Clutch 'Don't be shy' - Design by Kilian Hennessy

Ich muss ununterbrochen arbeiten – ich brauche meine Arbeit, meine Herausforderung, ich muss beschäftigt sein. Ich glaube, ich würde verrückt werden, hätte ich nichts zu tun.

Die Namen der drei Düfte dieser neuen Kollektion lassen eine sehr individuelle Interpretation zu. Wenn Sie diese alte Geschichte in die moderne Zeit tranformieren, wo sehen Sie die "City of Sin"?

Als „City of Sin“ wurden im Laufe der Geschichte viele Orte bezeichnet. Da war der Garten Eden, wo alles begann, hier fand der erste Sündenfall statt. Dann war es Babylon, und auch New York wird als neues Babylon bezeichnet. Dann gibt es Las Vegas als klassische Sin City.

Für mich ist "The City of Sin" jeder Ort, wo Versuchung stattfindet. Es kann Paris, New York, jede Stadt, jeder Ort der Welt sein.

Sehen Sie sich als Parfumeur im traditionellen Sinn? Welchen Parfumeur würden Sie als Ihr  Vorbild bezeichnen?

Mein Mentor, den ich sehr schätze, war Maurice Roger, President von Dior von 1982 bis 1995. In ihm sah ich jenen Mann, der ich einmal sein wollte. Er schuf große Düfte wie Poision, Dune, Fahrenheit oder Dolce Vita. Er war mein philosophischer Mentor, aber ich habe ihn nicht um Rat gefragt.

Ich glaube es gibt einen kulturellen und einen Generationen-Aspekt in der Parfumkreation. Es bedeutet, daß ein Parfum die Duftspur seiner Zeit trägt, man kann nur ein Parfum schaffen, das im Gleichklang mit seiner Zeit ist.
Leonardo da Vinci meinte: "Armselig der Schüler, der seinen Meister nicht übertrifft" und er hat recht. Als Schüler erhält man sein gesamtes Wissen von seinem Meister, darf sein gesamtes Wissen übernehmen und sollte dann die nächste Stufe erreichen.

Und Brancusi sagte (über sich selbst in Verbindung zu Rodin): "Es wächst nichts im Schatten großer Bäume". Er verstand die Notwendigkeit, aus Rodins Schatten zu treten und selbst etwas zu schaffen, um die eigene Größe zu erreichen.

Es mag schwierig sein, aber man muss seine Flügel entfalten und selbst fliegen, denn Kreation weist immer in die Zukunft.

Eine Frage an den Parfumeur: Gibt es einen Duft, den man nicht kreieren kann?

Es gibt immer das Esperanto der Düfte – Pheromone z.B. die ultimative Versuchung, Düfte, die man nicht bewusst wahrnimmt und doch einen großen Einfluss haben. Oder  das absolute Perfum, das Jean Baptiste  Grenouille in Patrick Süßkinds „Das Parfum“ schuf (lacht). Aber offen gestanden – darüber habe ich noch nie nachgedacht.
Was würden Sie als Ihre Mission betrachten?
Ich möchte Parfums wieder ihren Stellenwert geben. Ich möchte Düfte als Kunstwerke kreieren, wie es im letzten Jahrhundert der Fall war. Bei einem Besuch des Baccarat-Museum sah ich die Ausstellung „Ein Jahrhundert Baccarat Parfumflakons“ und ich war schockiert. Vor meinen Augen entfaltete sich Luxus auf unglaublich hohem Niveau, getragen von großen Namen wie Lancôme, wie Coty,  Guerlain, Houbigant oder Dior. Vergleicht man diesen Luxus, der vor 100 Jahren geschaffen wurde und das, was diese Marken heute machen, so ist es nicht mehr die gleiche Welt. Als ich das sah, wusste ich sofort, daß ich Düfte als Kunstwerke kreieren wollte.
Wie beurteilenSie die aktuelle Situation der Parfümerie? Oder besser gesagt – die Rolle des verwirrten, mit unendlich vielen Deja-vu Düften überfluteten Konsumenten?

Das Problem ist der Mangel an Kultur. Um die Kultur der Parfumkunst zu erlernen, braucht es 5 bis 10 Jahre harte Arbeit, die mit Leidenschaft erbracht werden muss, Hingabe an die Sache. Das geht nicht in einem Jahr. Es gibt 3000 Moleküle, die man kennen muss, alle Akkorde, alle Düfte, die bereits existieren, ihre Struktur – das ist eine Menge Arbeit.

Heute, in einer Welt der Schnellebigkeit, wo alles sofort geschehen muss, wo aus dem Nichts in einem Monat Super-Stars produziert werden, ist die Denkweise auf Geschwindigkeit programmiert. Alles muss schnell und möglichst mühelos gehen. 

Das betrifft natürlich auch die Welt der Düfte. Niemand will sich wirklich die Zeit nehmen, um diese Kunst zu lernen. Und wenn  Du nichts weisst, dann probierst Du eben herum. Und das Ergebnis kennen wir.

Denken Sie, man wird irgendwann wieder zurückfinden zur Mystik und Tradition der Parfumherstellung?
Ja, davon bin ich überzeugt. Ich meine, man wird hier in Zukunft zwei Kategorie bedienen. Kostbare Düfte in eleganten Stores auf der einen Seite und eine Massen-Distribution auf der anderen Seite. Die Mittelklasse wird es nicht mehr geben.

Wären Sie ein Duft, wie wäre dieser beschaffen?
Ich denke, er wäre elegant, charmant, sexy (lacht). Ich liebe Parfums, die ihren Träger nicht überwältigen oder belästigen, sondern im Gegenteil über eine elegante Struktur  und eine sexy Basisnote verfügen. So ein Duft wäre ich gerne.

Wir danken für das Gespräch!