L’Orpheline

Serge Lutens' fragile Ode an die Zerbrechlichkeit

“Dieser Duft reproduziert ein Mysterium, zusammen mit seiner Frische, getönt mit grau. Er gehört zur Kindheit und ihrer Reinheit, die unberührt in einem Erwachsenen zu finden sind, der sich diesen Geist bewahrt hat. Dieses Parfüm nimmt es auf mit dem Aspekt seines Autors. Es ist das Resultat einer Geschichte.”

Serge Lutens L'Orpheline

Wie eine Seiltänzerin, die auf einem dünnen Seil balanciert und die jeden Moment abstürzen könnte, will Serge Lutens mit diesem Parfum an unsere Zerbrechlichkeit erinnern. Auf grazile Weise vereint der Meister der olfaktorischen Essenz hier die Zartheit des Nebels, die Schönheit der Asche und die Reinheit der Kindheit.

Reinheit und grau zugleich - der Duft L'Orpheline (zu deutsch Waisenmädchen) verbindet durch seine fragile Komposition Schönheit und Zerbrechlichkeit. Warme und kühle, ätherische und sinnliche Noten wechseln einander ab  - Weihrauch, Castoreum und Moschus evoziieren Nebel und Asche, Frische und Geheimnis.

Der Duft gehört der Kindheit an, erinnert an die Unverdorbenheit, die sich mancher bis ins Erwachsenenalter bewahrt. Das Holz ist ihr Vater, ihre Mutter die Flamme. Es begann als schwarzer Dunst während der Verbindung dieser zwei Elemente, dann grau, belebt durch die Zugluft des Kamins. Schließlich eine Verwandlung zu weiß bis es unsichtbar entschwindet.

Es ist an der Zeit sich niederzulassen, unsichtbar, wie eine Art Dunstfilm, eine Art Asche. Schwer erkennbar, die einzelnen Partikel, voneinander getrennt, in der Luft schwebend. Diese Asche hat eine einsame Seite, zerbrechlich, isoliert. Diese Zerbrechlichkeit jedoch ist gleichzeitig auch unsere Stärke! Weil wir sie zugeben, weil sie unsere Persönlichkeit ausmacht, weil sie ein Teil unseres Selbst ist!

L’Orpheline von Serge Lutens im 50 ml Flakon in exklusiven Parfümerien.

Serge Lutens im Interview über L’ORPHELINE

1. Noch ein Mädchen?*
Ja, wenn man davon ausgeht, dass sie der verlassene Teil meiner selbst ist. Als Kind habe ich die Welt zweigeteilt. Auf der einen Seite stand die Besiegte – nicht die Verliererin! – oder genauer gesagt das, was in ihr keimte und das ich schließlich aus mir selbst ans Licht holte. Auf der anderen Seite stand der Sieger. Für ein Kind gibt es nur drei Personen auf der Welt: es selbst, seine Mutter und seinen Vater. Ohne, dass jemand so eine klare Wahl trifft wie ich, wird jeder Mensch ein Leben lang von diesen dreien abhängig sein.

2. Spiegelt Ihre Wahl die Mutter wieder?
Nicht für die Mutter, sondern für ihre Verletzlichkeit: Ich habe sie übernommen. Zweifellos eine Identifikation. Wie jeder von uns verdanke ich mein Leben dem Zufall. Dem Zufall, den wir vom Würfeln kennen, diesem verfluchten Spiel, und der uns dahin bringt, wo wir geboren werden oder gar nicht erst hinkommen. Ich zähle jetzt nicht wieder die prägenden Episoden meines Schicksals auf, aber der Unterschied zwischen dem, was war, und dem, was ich fühlte, war gewaltig. Dennoch sind Kinder hellsichtig: Sie sehen vieles voraus. Da ich der Verletzung alle Eigenschaften des Weiblichen eingeräumt habe, hat sie mich bestimmt.

3. Haben Sie also von dem Zeitpunkt an alles Männliche in sich negiert?
Hinsichtlich aller öffentlichen Zwänge wie Armee, Autorität, Macht, Ordnung und Moral: ja. Ich führte Krieg mit dem Männlichen, das ich als das Böse begriff. Von diesem Moment an habe ich eine Frau erdacht und sie mit mir ans Licht geholt, in einer Art Blutstaufe.

4. Kommen wir auf das Waisenmädchen zurück. Sind Sie das?
Nein, zunächst war das ein unberührtes Neuland, es zog mich an, aber ich erkannte mich in ihm nicht wieder. Dieses Gebiet, das mir zuwider war, war das der Männer. Meine Mutter war die Wut und ich, ihr Sohn, ihre Rache.

5. Und wo ist dabei der Vater?
Der Vater ist der erklärte Feind. Ich war der Hass auf Erden, auf den Vater. Ich war die Galionsfigur meiner Mutter und der Mörder meines Vaters. Die Wunde heilte nicht. Ich versuchte, mich selbst zu blenden, aber ich sah es: Der Vater war unsterblich. Von ihm habe ich das Weibliche bewahrt, das er verraten hatte.

6. Was hat Sie durch diesen Irrgarten zu Ihrem Duft geführt?
Die Erinnerung, das Verzeihen und das, was heute von all dem übrig ist: Staub. Das Wort ist im Französischen nicht nur weiblich, sondern es besitzt auch keinen Plural. Es ist die Folge meines Lebens, das, was bleibt, wenn alles verschwunden ist. Es ist unsichtbar und überzieht im Zuge des Vergessens alles mit einem grauen Schleier, Schicht für Schicht.
Serge Lutens

*Orpheline bedeutet Waisenmädchen